Fast schon scheint der Mond uninteressant für Beobachtungen mit erdgebundenen Großteleskopen. Eher wirkt sich sein Licht störend aus, wenn Experten sich lichtschwachen Himmelsobjekten zuwenden wollen. Mehr denn je scheinen ferne Galaxien, Gravitationslinsen und Quasare, Materiejets und exotische Erscheinungen in den Tiefen des Alls gefragt, kaum aber teleskopische Visiten auf dem Erdbegleiter.
Doch ganz so verhält es sich in Wirklichkeit auch wieder nicht. Denn nach wie vor bietet der Mond sich als hervorragender Informant über die Geschichte des Sonnensystems und die Geologie einer fremden Welt an, die geradezu direkt vor unserer Haustüre liegt. Und nicht zuletzt gilt es immer noch, einige hartnäckige Rätsel zu lösen. Fachleute knabbern noch an Fragen um seine Entstehung, seinen Aufbau und seine heutige Aktivität.
Astronomen der europäischen Südsternwarte (ESO) am chilenischen Paranal haben sich vor kurzem mit besonders massivem Gerät dem Mond gewidmet. Am Morgen des 30. April richteten sie den 8,2-Meter-Spiegel Yepun zusammen mit der adaptiven Optik NAOS-CONICA – kurz: NACO – auf die kalkigen Landschaften dort „oben“.
Sie zielten mit der gewaltigen Optik auf ein Gebiet um den 56 Kilometer großen Einschlagkrater Taruntius, etwa sechs Grad nördlich des lunaren Äquators und an der Grenze der weiten Flächen von Mare Tranquillitatis und Mare Foecunditatis. Diese recht willkürlichen Landschaftsnamen bezeichnen das „Meer der Ruhe“ beziehungsweise „Meer der Fruchtbarkeit“ – riesige Basaltebenen. Sie entstanden beim großen Bombardement in der Urzeit des Sonnensystems, als Planetenembryos und kosmische Schuttmassen die Kruste durchschlugen und glutflüssiges Material weite Bereiche überflutete. Winzige Nädelchen des Minerals Ilmenit färben diese Meere, die keine sind, doch recht düster.
Die beeindruckende ESO-Aufnahme zeigt Taruntius am späten Mond-Nachmittag; die Sonne steht tief und erzeugt lange Schatten mit feinsten Details. Adaptive Optik ermöglicht überwältigende Blicke. Das Yepun-Bild ist mit einer Auflösung von 0,07 Bogensekunden eine der schärfsten erdgebundenen Aufnahmen des Mondes, wenn nicht sogar die bislang beste. Sie gibt Einzelheiten von nur 130 Meter Ausdehnung wieder. Die Bildelemente von NACO entsprechen jeweils sogar 0,027 Bogensekunden, was in Mondentfernung nicht mehr als 50 Meter ausmacht. Fast scheinen die Fotos direkt aus dem Mondorbit geschossen.
In dem vom Apollo-11-Landeplatz etwa 700 Kilometer entfernten Terrain fällt unter anderem auch der zehn Kilometer messende Krater Cameron auf, um den sich zahlreiche winzige Einschlaglöcher scharen. Der viel größere Taruntius ist ein alter, erodierter Krater, dessen Mehrfach-Wälle zu einem kleinen Teil in der Aufnahme zu sehen sind. Faszinierend ist die Ansicht einer im Jahr 1985 „Rima Taruntius“ genannten Struktur. Diese Taruntius-Rille ähnelt einem viel größeren und entsprechend berühmteren Gebilde – der Hadley-Rille, die 1971 von Apollo-15-Astronauten direkt vor Ort erforscht wurde.
Die ESO-Beobachtungen lieferten einerseits ein Top-Bild feinster Mondstrukturen, dienten andererseits aber auch dem Test der adaptiven ESO-Optik an einem ausgedehnten Himmelsobjekt. Doch unser Mond ist mehr als nur ein Prüfstand …
Stand: 29.09.2003