Die Chandra-Beobachtungen legen insgesamt nahe, dass RX J1856 und 3C58 sogar stärker verdichtet sind als nukleare Materie, wie wir sie auf unserer Erde antreffen. Astrophysiker, die zur Zeit mit der Auswertung der Daten befasst sind, haben nun völlig neue Vorstellungen von der Zusammensetzung dieser Objekte entwickelt.
Möglicherweise bestehen sie aus reinen Quarks, jenen fundamentalsten Bausteinen aller Materie. Vielleicht enthalten sie auch Kristalle von subnuklearen Partikeln, die unter gewöhnlicheren physikalischen Bedingungen nur sehr kurze Zeit existieren können und bei energiereichen Kollisionen im Labor erzeugt werden. Nicht einmal die extremste stellare Existenzform kann wie gesagt dem sehr kleinen Durchmesser von RX J1856 gerecht werden. Kein Neutronenstern kann auf einen Durchmesser von nur elf Kilometern verdichtet sein.
So erklärt der an den Forschungen wesentlich beteiligte Jeremy Drake vom Harvard-Smithsonian-Zentrum für Astrophysik in Cambridge, Massachusetts, USA: »Wenn wir das als Nennwert nehmen, dann deuten die kombinierten, durch Beobachtung erhaltenen Indizien auf einen Stern hin, der nicht aus Neutronen zusammengesetzt ist, sondern aus Quarks – in einer Form, die als ‚strange quark matter‘ bekannt ist. Quarks, die als die fundamentalsten Bestandteile der Kernteilchen betrachtet werden, sind in irdischen Laboratorien noch nie außerhalb eines Kerns gesehen worden.«
Eine Millionstel Sekunde nach dem Urknall bestand unser Universum lediglich aus Licht, aus leichten Teilchen, den Leptonen – darunter auch das Elektron – sowie eben der Gruppe der Quarks und ihrer Gegenstücke, der Antiquarks. Quarks waren am Anfang allen Seins gegenüber den Antiquarks nur um einen winzigen Bruchteil in der Überzahl. Aus diesem verschwindenden zusätzlichen Anteil ging letztlich unser späteres Universum hervor. Denn alle restlichen Quarks wurden von der »rivalisierenden« Quark-Antimaterie zerstrahlt.
Heute sind die Quarks in den Elementarteilchen gebunden. Doch unter den Bedingungen der beiden »Sub«-Neutronensterne RX J1856 und 3C58 scheint eine Art »Quarkbrei« möglich zu sein. Allerdings mahnt Jeremy Drake noch zu gewisser Vorsicht. Die Beobachtungen an »RXJ« könnten unter gewissen Umständen auch mit einem handelsüblicheren Neutronenstern erklärbar sein.
Fred Walter von der New Yorker Staatsuniversität und Mitentdecker jenes kosmischen Exoten untersucht gegenwärtig jedenfalls ein Modell, bei dem ein kleiner heißer Fleck auf dem Neutronenstern für eine Fehlinterpretation des Durchmessers verantwortlich sein soll. Doch eigentlich müsste auch dieser »hot spot« durch die stellare Rotation einen Puls erzeugen. Dessen Abwesenheit lässt sich durch die Walter-These nur schwer erklären.
Quark oder nicht Quark, das hier also die Frage. Der Physiker Michael Turner von der Universität Chicago meint dazu: »Egal wie diese Mysterien gelöst werden, jene präzisen Beobachtungen sind von großer Bedeutung. Sie demonstrieren unsere Fähigkeit, das Universum als ein Labor zu nutzen, in dem wir einige der bedeutendsten Fragen der Physik studieren können.«
Stand: 19.09.2002