Swakopmund, Frühjahr 2001. Ein bestialischer Gestank von faulen Eiern liegt in der Luft. Das Meer am Horizont taucht zum zweitenmal innerhalb von 14 Tagen in ein ungewöhnlich milchiges Türkis. Die auffällige 20.000 Quadratkilometer große Farbwolke, die früher fälschlicherweise als harmlose Algenblüte verkannt wurde, wird mit dem Meerwasser unaufhaltsam an Land gespült. Was ist geschehen?
Durch plötzlich auftretende Gaseruptionen wurden riesige Mengen an Schwefelwasserstoff aus den Sedimenten vor der namibischen Küste freigesetzt. Der Kontakt mit der türkis-farbigen Wasserverfärbung endete für viele Fische und Meeresbewohner tödlich, denn Schwefelwasserstoff ist ein natürliches Atmungsgift und wirkt ebenso toxisch wie Zyanid.
Leichte Beute
Viele Meerestiere versuchten damals den todbringenden Gaswolken zu entkommen. Ohne Erfolg. Massenhaft wurden erstickte und vergiftete Fische an Land gespült. Etliche Hummer verließen das Wasser und bevölkerten die rettenden Strandabschnitte. Freiwillige Helfer und Hilfstrupps des südafrikanischen Militärs sammelten über 900 Tonnen an Krustentieren an den Stränden ein und siedelten sie in lebensfreundlichere Gebiete um.
Doch es gab auch Nutznießer der Katastrophe. Für viele Möwen waren die an Land fliehenden Krabben und Hummer ein gefundenes Fressen. Andere Vögel hatten weniger Glück. Zum Beispiel Flamingos. Das rosa-farbige Federvieh fand im vergifteten und sauerstofffreien Wasser keine Nahrung mehr, konnte sich dem plötzlichen Ausbleiben ihrer Beutetiere scheinbar nicht schnell genug anpassen, wurde schwächer und verhungerte schließlich.
Wieder andere Seevögel, die normalerweise im flachen Wasser nach kleinen Krebsen und Muscheln fischten, wichen auf die Vorgärten der menschlichen Siedlungen aus, um alternative Nahrungsquellen zu erschließen. Doch hier nutzen gefräßige Schakale und herum streunende Haustiere die Gunst der Stunde. Die geschwächten Vögel boten eine allzu leichte Beute.
Täter: Schwefelwasserstoff
Das Horrorszenario von 2001 ist kein Einzelfall. Immer wieder wurden die Folgen gewaltiger Gaseruptionen vorwiegend im nördlichen Einflussgebiets des Benguela-Stroms vor Namibia beobachtet. Dabei gehört das Meer entlang der namibischen Küste unter normalen Auftriebsbedingungen zu den produktivsten Regionen der Welt. Woher jedoch stammt der todbringende Schwefelwasserstoff?
Während an der Wasseroberfläche ganzjährig immer neue Kleinstlebewesen heranwachsen und Algen erblühen, sinkt totes organisches Material in die Tiefe. Der Meeresboden ist zumeist frei von Sauerstoff, da dieser schon in der darüber liegenden Wassersäule verbraucht wurde. Er wird so zum El Dorado für anaerobe Bakterien, die im Sediment das organische Material mit Sulfat zu Sulfid „veratmen“. Dabei wird in Verbindung mit Wasser der für die meisten Meeresbewohner hochgiftige Schwefelwasserstoff freigesetzt.
Die letzte Barriere, die diesen Giftstoff am Entweichen vom Meeresgrund hindert, ist das Riesenbakterium Thiomargarita namibiensis. Die nitratspeichernden Schwefelbakterien bedecken den Diatomeenschlamm des sauerstoffgezehrten Meeresboden über ein rund 740 Kilometer langen und bis zu 76 Kilometer breiten Küstenstreifen. Dort speichert die „namibische Schwefelperle“ den Schwefelwasserstoff in Form von Schwefel und verhindert somit dessen Austritt in die freie Wassersäule über dem Sediment.
Doch auch dieses Hindernis wurde im März und April 2001 überwunden, als Gaseruptionen den Meeresboden aufsprengten. Das dadurch plötzlich entweichende Schwefelwasserstoff-Gas gelangte an die Wasseroberfläche, wo es mit Sauerstoff zu Schwefel umgewandelt wurde und eine sauerststofffreie Wassersäule zurücklies. Türkisfarbige Flecken an der Meeresoberfläche markierten weiträumig die küstennahen Eruptionsstellen im Atlantik.
Stand: 14.07.2003