Drang nach Freiheit

Er kennt die Grenzen der Wissenschaft – und geht weiter

Im November 1796 stirbt Humboldts Mutter Elisabeth. Befreit von den mütterlichen Zielvorstellungen kündigt der 27-Jährige seine Stellung als Oberbergmeister und widmet sich ganz der Planung der ersehnten wissenschaftlichen Exkursion. Das Erbe seiner Mutter investiert er, um seinen Traum zu erfüllen. Seine Südamerika-Reise wird die erste privat finanzierte und daher staatlich ungebundene Wissenschafts-Expedition überhaupt.

Sextant © NOAA

Sorgfältig bereitet sich Humboldt einige Jahre vor: Er wählt die Messinstrumente aus, die er auf der Reise mitführen will und macht sich mit ihnen vertraut. Der Sextant, schon seit 1730 bekannt, ist wohl sein wichtigstes Vermessungsinstrument. Anhand eines größeren Spiegelsextanten bestimmt er mit Hilfe der Sterne seine Standorte, während sein Taschensextant es ihm ermöglicht, die Biegungen eines Flusses genau auszumessen. Doch erst in Kombination mit dem 1778 erfundenen Chronometer kann er die genauen Längengrade seiner Reisestationen festhalten.

Zusammen mit seinem Freund und Biologen Karl Ludwig Willdenow studiert Humboldt das Binäre System von Carl Linné zur Klassifikation von Pflanzen, mit dem er später die unbekannten Pflanzen und Tiere beschreiben und benennen will. Für die Arbeit führt er auch in Südamerika immer ein Mikroskop mit, damit er organisches Material direkt vor Ort untersuchen kann.

Die letzten Tests

Zunächst will Humboldt noch einige kürzere Reisen nach Italien und Ägypten unternehmen, um seine Instrumente und Messtechniken zu testen. Doch seine Reisepläne scheitern an Napoleons Feldzügen. Frustriert reist Humboldt von Wien über Salzburg nach Paris, wo er den Botaniker Aimé Bonpland kennenlernt. Mit ihm versucht er noch einmal eine Überfahrt nach Afrika in Marseille zu bekommen. Doch auch diese Anstrengung scheitert. Mit Bonpland auf dem Weg nach Spanien untersucht er im tiefsten Winter die chemische Zusammensetzung von Luft und unterirdischen Gasen. Zur Messung verwendet er einen Eudiometer, der erst 1778 erfunden wurde und noch selten verwendet wird.

Hypsometer London 1870 © FaW

Seitdem er sein altes Leben hinter sich gelassen hat, scheint Humboldt wie entfesselt. Er misst alles, was ihm in den Weg kommt. Während der Reise quer über die iberische Halbinsel bestimmt er immer wieder Höhenwerte. Sein Quecksilberbarometer zeigt ihm die Veränderung des Luftdrucks an und er schließt damit auf die Höhe. Doch er traut den Messergebnissen des Reisebarometers noch nicht. Um sicher zugehen, kontrolliert er die Daten mit einem Hypsometer, der über den Siedepunkt des Wassers den Luftdruck und damit die Höhe ermittelt. Schließlich kann Humboldt die Werte exakt ermitteln und erstellt damit das erste Höhenprofil des westlichen Europas.

Auch Humboldt braucht ein Visum

In Madrid versucht Humboldt eine kleine diplomatische Revolution. Er bittet den spanischen König Karl IV., ihm einen Freibrief auszustellen, der ihm erlaubt, in allen spanischen Kolonien zu reisen und zu forschen. Bisher dienten alle Reisen in die neue Welt der Eroberung oder der Ausbeutung. Doch Humboldt bricht mit dieser Tradition. Er plant die erste rein wissenschaftliche Expedition ausschließlich zum „Fortschritt der Naturwissenschaften“. Der König ist beeindruckt von den fließenden Spanischkenntnissen des Gelehrten und seinem Wissensdrang.

Humboldt hat Erfolg. Der König verspricht sich wohl wissenschaftliche Erkenntnisse über Bodenschätze und Anbaumöglichkeiten. Der Freibrief ermöglicht Humboldt nicht nur, sich frei in den Kolonien zu bewegen, sondern verpflichtet auch die Offiziellen der spanischen Kolonien, ihm Zugang zu ihren Sammlungen und Archiven zu gewähren. Humboldt ist begeistert über seine unbegrenzte Freiheit: „Nie, nie hat ein Naturalist mit solcher Freiheit verfahren können.“

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In den Schlagzeilen

Inhalt des Dossiers

Alexander von Humboldt
Ein Alleskönner auf der Suche nach Antworten

Ein Studienabbrecher wird Universalgelehrter
Sehnsucht nach dem Unbekannten

Drang nach Freiheit
Er kennt die Grenzen der Wissenschaft – und geht weiter

Die Ostküste Südamerikas
Mit Sextant, Fernrohr und Mikroskop in den Dschungel

Forschungen am Rand der bekannten Welt
Der weiße Fleck zwischen Orinoko und Amazonas

Der höchste Mann der Welt
Auf Vulkanen und im Dschungel

Nur noch Richtung Norden
Auf dem Humboldt-Strom der keiner war

Der neue Kontinent in der alten Welt
Die Auswertung dauert über 30 Jahre

Klein aber fein – die Sibirienreise
Eine Exkursion im Schnelldurchlauf

Ein Lebenswerk über das Erdenleben
Am Ende kommt alles zusammen

Humboldt ist überall zu Hause
Damals Visionär – heute ein Vorbild?

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