Der erste Gladiator kommt aus Namibia, nicht etwa aus Rom. Dort lebt er noch immer, seit 45 Millionen Jahren. Der Gladiator ist ein Raubinsekt, halb Stabheuschrecke, halb Gottesanbeterin und ein lebendes Fossil. Vor zwei Jahren hat ihn der deutsche Biologe Oliver Zompro entdeckt.
Ein bis dahin nicht klassifiziertes Insekt in Baltischem Bernstein hatte Zompros Interesse erregt. Von Kollegen erhielt er Vergleichs-Exemplare, allerdings getrocknete Tiere der Jetztzeit, nur wenige Jahre zuvor gesammelt. Eine Expedition zum Brandberg in Namibia fand dann tatsächlich lebende Exemplare des immer noch namenlosen Insekts. Als „Gladiatoren“ getauft, begründeten sie die völlig neue Insekten-Ordnung der Mantophasmatodea.
Sensationen dieser Art birgt der Bernstein zwar nur selten, doch sie zeigen den Rang der Inklusen bei der Stammbaumforschung heutiger Arten. Denn beim Vergleich mit den fossilen Vorgängern werden Verwandtschaften, evolutionäre Sackgassen oder „Läuterungen“ vom Fleisch- zum Pflanzenfresser offen gelegt.
Von besonderem Interesse für Paläontologen sind Bernsteine aus der Kreidezeit. In der Zeit der Dinosaurier liegen die Wurzeln unserer heutigen Tier- und Pflanzenwelt. Noch als unbedeutende Nischenbewohner erschienen vor 140 bis vor 65 Millionen Jahren die ersten Blütenpflanzen und mit ihnen Bienen, Schmetterlinge und Ameisen. Als die Saurier an der Kreide-Tertiär-Grenze vor 65 Millionen Jahren ausstarben, bekamen die jungen Arten ihre Chance und eroberten ihrerseits die Erde.
Die älteste im Bernstein entdeckte Biene ist aus der Kreidezeit und mehr als 90 Millionen Jahre alt. Sie wurde in einer Bernstein führenden Schicht einer Tongrube in New Jersey gefunden. Aus der gleichen Lagerstätte stammen auch der älteste Falter, der sich gerade vom blut- zum nektarsaugenden Insekt entwickelte, und die älteste Ameise.
Doch Einzelfunde können auch Ausreißer der Natur sein. Eine Ameise allein steht nicht für die Evolution einer ganzen Art, Gattung oder Familie. Repräsentativ werden Fossilien-Funde immer erst durch weitere, ergänzende Stücke.
Im Tode vereint, doch auch im Leben?
Paläobiologen rätseln noch heute über das Spektrum des Lebens im Bernsteinalter. Vor allem für den Baltischen Bernstein liegt mit geschätzt knapp 10.000 Arten eine natürlich unvollständige, aber trotzdem relativ umfassende Systematik der Tiere und Pflanzen vor. Doch dieses Register beruht auf allen Inklusen-Funden im Bernstein – unabhängig davon, ob die Individuen zu Lebzeiten oder bereits tot, zur gleichen Zeit oder nacheinander im Harz eingeschlossen wurden.
Deshalb stellt sich die Frage, ob alle diese Arten den Bernsteinwald bevölkert haben, oder ob sie lediglich bestimmte Zeitfenster und einzelne Regionen repräsentieren. Verglichen mit heute stellen die Bernsteinfunde ein Sammelsurium der unterschiedlichsten Pflanzen und Tiere gemäßigter, tropischer und subtropischer Klimate dar. Es scheint unmöglich, sie zur gleichen Zeit am gleichen Ort zu vermuten.
Und doch ist diese Annahme richtig. Im Bernsteinalter, dem Eozän, herrschten über weite Gebiete gleiche Temperaturen, subtropische und tropische Pflanzen bewuchsen riesige Areale über viele Breitengrade hinweg. Am Ende des Eozäns, vor rund 35 Millionen Jahren, sorgte jedoch ein Asteroidenschauer für gewaltige Umweltveränderungen – das letzte große Artensterben der Erdgeschichte und die Entstehung scharf abgegrenzter Vegetationsgürtel. Die Folge waren wenige, stark spezialisierte Insekten und Pflanzen, die nur in bestimmten Gebieten überleben konnten. Verglichen mit dem bunten Garten Bernsteinwald ist die heutige Flora und Fauna dagegen die reinste Monokultur.
Stand: 03.09.2004