Zuerst wollte es keiner glauben: Als der Amateurastronom Stephen O’Meara 1977 erzählte, er habe bei seiner Beobachtung des Saturns seltsame dunkle Streifen quer zu den Ringen entdeckt, hielten ihn die etablierten Vertreter seiner Zunft für einen Spinner. Seine Skizze der „Speichen“, die sich quer über die Ringscheibe zogen, wurde ignoriert oder allenfalls als Kuriosum belächelt, doch nähere Untersuchungen unternahm niemand.
Bis 1980. Zu diesem Zeitpunkt erreichten die beiden Voyager-Sonden den Saturn und lieferten den staunenden Forschern Aufnahmen von noch nie dagewesener Klarheit. Darunter auch – Bilder eben jener dunklen Speichen, die O’Meara bereits drei Jahre vorher von der Erde aus gesichtet hatte. Die dunklen Schatten traten offenbar nur auf dem B-Ring, zwischen 43.000 und 57.000 Kilometern von der obersten Wolkenschicht des Saturn entfernt auf. Und auch ihre Verteilung auf dem Ring schien bestimmten Gesetzmäßigkeiten zu folgen: Sie war keineswegs regelmäßig wie bei den Speichen eines Fahrrads, sondern häufte sich in einigen Regionen.
Dass diese radiären Speichen beim Anflug der Sonden auf das Ringsystem dunkel gegen den hellen Hintergrund der Ringe, beim Blick zurück jedoch hell auf dunklem Hintergrund erschienen, deutete zwar darauf hin, dass sie aus besonders feinen, staubgroßen Partikeln bestehen könnten, doch näheres gaben auch diese Daten Hinweise nicht preis. Seit nunmehr fast 20 Jahren geben die geheimnisvollen Speichen der Saturnringe den Forschern Rätsel auf. Wodurch entstehen sie? Was bestimmt ihre Form und ihr Verhalten? Und wie?
Einige Wissenschaftler vermuten, dass die Teilchen, aus denen die Speichen bestehen, auf bestimmte Art und Wiese elektrisch geladen sind. Das unregelmäßige Aufflackern und Verblassen der geisterhaften Schattenstreifen könnte dann auf Schwankungen im entsprechenden elektrischen Feld zurückzuführen sein. Doch um was für ein Feld es sich handelt und welche Rolle dabei das Magnetfeld des Saturn spielen könnte, ist nach wie vor völlig unklar.
Zu allem Überfluß flackern die Speichen nicht nur, sie bewegen sich auch noch. Je nach Abstand zum Zentrum scheinen sie mehr oder weniger schnell mit der Drehung des Saturn mitzurotieren. Die beobachtete Umlaufzeit einiger Speichen von 10 Stunden und 39 Minuten könnte auf einer Korotation mit dem Saturnmagnetfeld zurückgehen, doch warum variiert bei anderen die Geschwindigkeit dann so stark?
Noch immer kennt die Wissenschaft auf die meisten dieser Fragen keine Antwort. Um so größer sind nun die Erwartungen der „Speichenforscher“ an die Ergebnisse der Cassinisonde. Bei ihren Durchquerungen der Ringebene und den Umläufen um den Saturn soll sie unter anderem auch endlich Licht in dieses rätselhafte Phänomen bringen.
Voyager-Film der Speichen (998 K, mov)
Stand: 25.06.2004