24. Juli 2000: Dieser Tag wird zum Wendepunkt in der europäischen Functional Food Geschichte. Zum allerersten Mal entscheidet die EU-Kommission im Rahmen der Novel Food Verordnung positiv über ein Nahrungsmittel, dem ein Stoff ausdrücklich wegen seiner arzneilichen Wirkung zugesetzt wurde. Das Produkt: Die von Unilever hergestellte Margarine „Becel pro-activ“. Die proklamierte Wirkung: Eine deutliche Senkung des Cholesterinspiegels im Blut.
Die offiziell als „gelbes Streichfett mit Phytosterolester-Zusatz“ beantragte Margarine enthält das Fettsäureester eines pflanzlichen Sterins, eine Substanz, die in seiner Struktur dem Cholesterin verwandt ist. In natürlicher Form kommt es beispielsweise in Ölen, Nüssen, Bohnen und ölhaltigen Samen vor. Wird das Phytosterin in ausreichender Menge aufgenommen, kann es verhindern, dass Cholesterin aus dem Darm ins Blut gelangt.
Januskopf Cholesterin
Normalerweise wird das Fett verdaut, indem spezielle kugelförmige „Fährenmoleküle“, die Micellen, die Cholesterinmoleküle aufnehmen und sie durch die Darmwand schleusen. Im Blut wird das wasserunlösliche Cholesterin an Proteine gebunden als Lipoprotein transportiert. Die beiden Hauptträger von Cholesterin sind dabei die „High Density Lipoproteins“ (HDL) und „Low Density Lipoproteins“ (LDL) – im Volksmund das „gute“ und das „schlechte“ Cholesterin.
Während das HDL überschüssiges Cholesterin direkt zur Leber transportiert und damit seinen Abbau fördert, verteilen die LDL-„Träger“ das Cholesterin im ganzen Körper und schleusen es in die Zellen ein. Übrigbleibendes LDL-Cholesterin dagegen lagert sich mit Vorliebe an den Arterienwänden ab und führt damit zur schleichenden Verstopfung der Blutgefäße.
Verdrängungswettbewerb an der „Fettfähre“
Phyosterine bremsen gezielt das schlechte Cholesterin aus, lassen das gute aber unbehelligt. Die pflanzlichen Sterine verdrängen das Cholesterin im Darm aus den Micellen und verhindern so dessen gehäuften Übertritt in das Blut. Es wird stattdessen weitgehend unverdaut ausgeschieden.
Die Phytosterine ihrerseits gelangen auch nur zu rund fünf Prozent in das Blut, wie Studien gezeigt haben. Warum dies allerdings so ist, weiß man noch nicht. Im Blut wird das Phytosterin direkt zur Leber transportiert und dort vierzigmal schneller abgebaut als andere Blutfette.
Diese Wirkung des Pflanzeninhaltsstoffs ist schon seit Jahrzehnten bekannt und wird in der Arzneimittelherstellung bereits ausgenutzt. Normalerweise liegt jedoch die wirksame Dosis hier um das Acht- bis Zwölffache über der normalerweise mit Nahrungsmitteln aufgenommenen. Die Becel-Margarine allerdings enthält Phytosterine in Mengen, wie sie in Europa so noch niemals in einem Lebensmittel zu finden waren: Immerhin 7,5 Gramm Sterin pro 100 Gramm. Nach Angaben von Unilever sollen bereits drei Portionen Becel pro-activ ausreichen, um das unerwünschte LDL-Cholesterin im Blut um 10 – 15 Prozent zu reduzieren.
Ausnahmsweise Werbung
Nach dem Motto: „Tue Gutes und sprich darüber“ darf Unilever sogar mit der cholesterinsenkenden Wirkung ihres Produktes werben. Weil dies nach dem deutschen Lebensmittelrecht verboten ist, behalf sich der Konzern mit einem Trick: Er deklarierte die Margarine als diätetisches Lebensmittel. Da für diese Produkte das Verbot krankheitsbezogener Werbung etwas durchlässiger ist, konnte Unilever eine Ausnahmegenehmigung erreichen.
In den USA dürfen Lebensmittelhersteller dagegen längst damit werben, dass ihre Phytosterin- Produkte das Risiko für koronare Herzkrankheiten herabsetzen. Allerdings auch nur dann, wenn diese bestimmte, von der Arzneimittelbehörde FDA festgesetzte Bedingungen erfüllen: „Lebensmittel, die mit dieser Wirkung werben wollen, müssen zusätzlich zu den Sterinen niedrige Anteile an gesättigten Fettsäuren und Cholesterin nachweisen und dürfen nicht mehr als 13 Gramm Fett pro Portion oder 50 Gramm enthalten“, so das FDA.
Noch fehlen in Deutschland und der gesamten EU so detaillierte Richtlinien und Regelungen für Functional Food. Neue Produkte müssen daher entweder auf diese Art der Werbung verzichten oder aber nutzen Schlupflöcher im bestehenden Lebensmittelrecht. Die EU arbeitet allerdings bereits an einer einheitlichen Gesetzgebung.
In der Zwischenzeit hat Unilever bereits seine Phytosterinpalette um einen Joghurt und eine angereicherte Milch ergänzt. Andere Hersteller zogen nach: Noch im Jahr 2000 gingen Anträge der Konkurrenz für Milchprodukte, Wurstwaren und Backwaren mit Phytosterinzusatz bei der EU ein und entsprechende Produkte sind inzwischen auf dem Markt.
Stand: 23.04.2004