Sie gilt als wahre Wunderwaffe im Kampf gegen die Leiden der modernen Zivilisation – die Folsäure. Kaum ein Vitamin wird heute so intensiv erforscht und in der Fachwelt diskutiert. Die Verbindung aus der Gruppe der B-Vitamine spielt im Körper eine wichtige Rolle bei der Bildung von Blut- und Schleimhautzellen, gleichzeitig fördert sie den Abbau von Homocystein, einem Schlüsselfaktor der Arteriosklerose. Über mehrere Stoffwechselwege wirkt sie zudem DNA-Schäden entgegen und mobilisiert die zelleigenen Reparaturmechanismen.
Richard Smith, Redakteur des renommierten British Medical Journal bezeichnet die Folsäure daher sogar als führenden Kandidaten für das „Allheilmittel des 21. Jahrhunderts“. Denn dank ihrer vielseitigen Wirkungen soll sie nicht nur vorbeugend gegen Herzinfarkt und Arteriosklerose helfen, sondern auch das Risiko für einige Krebsarten wie Leukämie und Darmkrebs verringern. Folsäuremangel in der Schwangerschaft kann zudem beim Fötus Fehlbildungen des Nervensystems und der Gewebe wie den offenen Rücken verursachen.
Versorgung mangelhaft
Ausgerechnet dieses Lebenselixier gilt in vielen Industrieländern mittlerweile als Mangelvitamin. 0,4 Milligramm, bei Schwangeren 0,6 Milligramm, gibt die Deutsche Gesellschaft für Ernährung als Richtwert für den täglichen Bedarf an. Doch in Zeiten von Fastfood und Mikrowellenkost wird von der vor allem in Leber, Vollkornprodukten, grünem Blattgemüse, Spargel, Eigelb und Nüssen enthaltenen Substanz einfach zu wenig gegessen.
Gefährdet sind dabei besonders Alkoholiker, Raucher, Frauen, die die „Pille“ nehmen, Schwangere, Stillende, Patienten mit Magen-Darm-Erkrankungen oder chronischen Blutungen. Unter anderem deshalb beschlossen die amerikanischen Gesundheitsbehörden Mitte der 1990er Jahre, Getreideprodukte mit Folsäure anzureichern. Seit dem 1. Januar 1998 enthalten daher in den USA Mehl und Cerealien 1,4 Milligramm Folsäure pro Kilogramm. Ähnlich wie bei Jod im Kochsalz soll damit eine flächendeckende Versorgung über Lebensmittel des täglichen Bedarfs gewährleistet werden.
Langzeiteffekte unbekannt
Doch trotz der weitreichenden und unumstrittenen positiven Effekte der Folsäure warnen Experten wie Marc Lucock vor den Folgen eines solchen Masseneinsatzes. In einem Artikel im British Medical Journal schreibt er: „Trotz des gesteigerten Interesses und den klaren Vorteilen von Folsäurezusätzen ist Vorsicht angebracht. Die in Nahrungsergänzungsmitteln und in Functional Foods verabreichte Folsäureform ist Pteroylmonoglutamat (PGA) eine Form, die in der Natur so nicht existiert.“
Forschungen zeigen, dass PGA bei Dosierungen unterhalb von 0,4 Milligramm zwar komplett in die normale Transportform des Vitamins umgewandelt wird. Bei höheren Dosen allerdings gelangt das sehr stabile PGA ohne Umwandlung in den Blutstrom. Werden Getreideprodukte per Gesetz mit Folsäure angereichert, kann eine solche Höherdosierung unter Umständen schnell erreicht werden. Nicht selten verabreichen zudem Ärzte ihren Herzpatienten extrem hohe Dosen von bis zu fünf oder sogar zehn Milligramm PGA.
Noch sind die langfristigen Auswirkungen solcher PGA-Gaben absolut unerforscht. Angesichts des sehr komplexen Stoffwechselkreislaufs der Folsäure raten Experten allerdings zur Vorsicht. Immerhin haben Laborversuche bereits gezeigt, dass PGA im Reagenzglas bestimmte Enzyme deaktiviert, darunter auch wichtige Bestandteile der Nukleotidbiosynthese…
Stand: 23.04.2004