Seit Jahrzehnten suchen Meteorologen und Mediziner fieberhaft nach den Ursachen für die Wetterfühligkeit. Welcher Mechanismus greift so tief in unseren Stoffwechsel ein und wie? Handelt es sich um einen einzelnen Faktor oder müssen erst viele Komponenten des komplexen Wettersystems zusammenwirken, um die Beschwerden auszulösen? Warum verkraften wir die Überhitzung in der Sauna, Luftdruckunterschiede im Gebirge oder beim Fahrstuhlfahren ohne Probleme, schleppen uns aber schon bei ein wenig schwülem, drückenden Wetter nur noch mühsam durch den Tag? Gesicherte Erkenntnisse zum „Faktor X“ gibt es bis heute keine, Hypothesen allerdings einige.
Wenn der Druck ins Schwingen gerät…
Einer der möglichen „Sündenböcke“ sind die „Schwerewellen“: kleinste, aber wiederholte Luftdruckschwankungen, die dem normalen Luftdruck übergelagert sind. Sie entstehen, wenn zwei Luftmassen aufeinandertreffen und in ihrem Grenzbereich Reibungen die Luft in Schwingungen versetzen.
Hans Richner, Meteorologe von Institut für Klima und Umwelt der ETH Zürich ist diesen atmosphärischen Wellen schon länger auf der Spur. Anhand statistischer Erhebungen im Alpenraum hat er herausgefunden, dass Betroffene vor allem dann über Beschwerden klagen, wenn solche minimalen Druckänderungen in einer Frequenz von vier bis 20 Minuten auftreten. Richner: „Diese Wellen in der Atmosphäre sind ganz besonders stark ausgeprägt bei Föhnlagen und beim Durchzug von Fronten.“
„Vorfühligkeit“ durch Schallgeschwindigkeit
Da sich die Schwerewellen mit Schallgeschwindigkeit ausbreiten, eilen sie einem kommenden Wetterumschwung unter Umständen schon um einige Tage voraus. Dieses Phänomen könnte daher auch die Wettervorfühligkeit erklären, die Tatsache, dass einige Menschen anhand ihrer körperlichen Reaktion Wetterumschwünge sozusagen „vorausspüren“ und schon Stunden oder Tage vorher unter Kreislaufproblemen oder Konzentrationsstörungen leiden.
Antenne gesucht
Aber wie nimmt der Körper diese minimalen Luftdruckschwankungen wahr? Immerhin lastet unter normalen Bedingungen auf jedem Menschen der durchschnittliche Druck von rund 20 Tonnen Luft, auf jedem Quadratzentimeter unserer Haut immerhin noch ein Kilogramm. Fällt der Luftdruck beispielsweise durch ein Sturmtief innerhalb weniger Stunden um zehn Hektopascal, verringert sich das auf dem Körper lastende Gewicht um immerhin 400 Kilogramm. Unser Organismus gleicht solche Be- oder Entlastungen durch einen mit der Außenwelt im Gleichgewicht stehenden Innendruck aus.
Angesichts dieser Größenordnungen fallen die minimalen Schwankungen der „Schwerewellen“ im wahrsten Sinne des Wortes kaum ins Gewicht. Wie also registriert sie der Körper – wenn er es denn tut? Eine mögliche Antenne für diese Mikroschwankungen glaubt der russische Physiker Anatolij Delkujow gefunden zu haben. Wie er unlängst in der Zeitschrift GEO berichtete, könnten spezielle Rezeptoren in der Halsschlagader des Menschen Druckschwankungen registrieren und direkt entsprechende Reaktionen des Blutdrucks und Kreislaufs anregen.
Trotz der ungeklärten „Antennenfrage“ halten inzwischen auch viele andere Biometeorologen Schwerewellen für eine der möglichen Ursachen der Wetterfühligkeit. Doch einen eindeutigen wissenschaftlichen Beweis gibt es dafür nach wie vor nicht. Stattdessen mehren sich die Hinweise auf einen weiteren Kandidaten für den „Faktor X“.
Stand: 16.04.2004