Zoologie

Goldene Zukunft für Tintenfische?

Interview mit Volker Christian Miske Teil II

Tintenfische sind farbenblind. Trotzdem schaffen sie es, sich gut zu tarnen und dabei in Farbe und Form perfekt an die Umgebung anzupassen. Wie machen sie das?

Miske: Bekanntlich können die meisten Cephalopoden aus verschiedenen Gründen mit Hilfe besonderer Zellen in ihrer Haut blitzschnell deren Farbe einschließlich Farbmuster sowie deren Oberflächenstruktur ändern. Muskelzellen, die Farbstoffsäckchen (Chromatophoren) umgeben, ziehen diese bei Bedarf stark in die Breite. In tieferen Schichten der Haut liegen so genannte Flitterzellen, deren Inhalt das einfallende Licht reflektiert und bricht, wodurch zusätzlich ein metallischer Effekt entstehen kann. Andere Muskeln lassen räumliche Oberflächenstrukturen wie z. B. Hautzipfel entstehen.

Diese Veränderungen der Haut werden über das Nervensystem gesteuert. Die benötigten Informationen zur farblichen und auch texturellen Einpassung in ihre Umgebung laufen nicht nur über die Augen, sondern zumindest beim Gemeinen Kraken (Octopus vulgaris) auch über Tastsinneszellen an den Armen ein. So kann z. B. ein erblindeter Krake je nach Körnung des Untergrundes eine Tüpfelung (bei Sand) bis grobe Fleckung (bei Kies) auf seiner Haut erzeugen.

Es gibt Hinweise, die auf Farbenblindheit von Kopffüßern schließen lassen; endgültig bewiesen ist dies jedoch nicht. Wenn Farbenblindheit vorläge, die im ersten Moment wegen der teils prächtigen innerartlichen Kommunikation v. a. über Hautmuster und der Fähigkeit zur farblichen Tarnung widersinnig erscheint, so wird diese offenbar durch die genaue Auswertung der Grauwerte der Farben kompensiert. Einige Arten können übrigens sogar polarisiertes Licht auswerten.

g-o.de: Zurück zu Ihnen. Sie sitzen gerade an ihrer Doktorarbeit über Tiefsee-Tintenfische. Worum geht es dabei?

Miske: Ich beschäftige mich mit der Artenvielfalt, Verbreitung und Lebensweise von Tiefsee-Tintenfischen. Ein Schwerpunkt liegt dabei auf Untersuchungen zur Systematik, d. h. zur artlichen Zusammensetzung, der Familie der Tiefenkalmare (Bathyteuthidae). Diese etwa fingerlangen, tiefrot gefärbten Tiere schweben kopfunter in großen Tiefen des Freiwassers der Tiefsee. Bisher wurden weltweit innerhalb der Familie drei Arten beschrieben; eine weitere wird vermutet. Ich fand nun Tiere in der von mir untersuchten Sammlung aus dem Nordost-Atlantik, die sich in ihren Körpermerkmalen von allen anderen beschriebenen und vermuteten Arten unterscheiden. Die Exemplare dieser neuen morphologischen Gruppe werden gegenwärtig daraufhin überprüft, ob es sich bei diesen um Vertreter einer neuen Art handelt.

g-o.de: Clyde Roper von der Smithsonian Institution in den USA, eine Legende unter den Tintenfischforschern, betreut sie bei Ihrer Doktorarbeit. Er beschäftigt sich seit 40 Jahren mit den größten Tintenfischen der Welt, den Riesenkalmaren. Was gibt es neues auf diesem Gebiet?

Miske: Unser Wissen über dieses größte als Einzelindividuum lebende wirbellose Tier ist wegen der bisher wenigen wissenschaftlich untersuchten Exemplare und der Tatsache, dass sich der Gigant immer noch unseren Blicken und erst recht unseren Kameras in seinem natürlichen Lebensraum entzieht, noch sehr begrenzt. Es ist derzeit noch nicht einmal klar, ob die einzige Gattung (Architeuthis) in der Familie der Riesenkalmare aus einer Art mit vier Unterarten oder aus vier Arten besteht. Umso wertvoller sind die Daten eines jeden gefundenen oder gefangenen Exemplars.

Seit kurzer Zeit erst ist bekannt, dass männliche Riesenkalmare dem Weibchen während der Paarung über zehn Zentimeter lange Spermienbehälter (sog. Spermatophoren) unter die Haut vornehmlich der Arm- und Tentakelansätze injizieren (wie von dort aus der Inhalt dieser Behältnisse, die Spermien, während der Eimassenablage die Eier erreicht, ist bisher noch unbekannt). Es wurden auch schon männliche Exemplare gefunden, die unter die Haut injizierte Spermatophoren trugen, aber immer in Regionen in Reichweite des eigenen Penis. Das Tier könnte sich also bei der Paarung versehentlich „in den eigenen Fuß geschossen“ haben. Nun existiert jedoch eine Hypothese über das generelle Paarungsverhalten von Tiefseetieren, die kurz mit „erst paaren, dann nach dem Geschlecht des Partners fragen“ umschrieben werden könnte. Das vorhin erwähnte besondere Merkmal unseres Exemplars stützt diese Hypothese stark.

g-o.de: Fast überall werden heutzutage die Forschungsetats an den Universitäten gekürzt. Sind davon auch sie als Tintenfischforscher betroffen?

Miske: Bisher nicht, da meine Forschungsarbeit über ein Stipendium direkt vom Land Mecklenburg-Vorpommern finanziert wird. Meine Hochschule, die Ernst-Moritz-Arndt-Universität Greifswald, kämpft gegenwärtig intensiv gegen die verheerenden Kürzungen im Forschungs- und Bildungssektor. Diese Kürzungen schließen den Abbau von Stellen ein und gefährden die Funktionsfähigkeit dieser hervorragenden und übrigens auch ein nahezu familiäres Klima bietenden Universität.

g-o.de: Zum Abschluss noch eine zugegebenermaßen sehr spekulative Frage: Halten Sie es tatsächlich für realistisch, dass Tintenfische wie in der ZDF-Dokureihe „Die Zukunft ist wild“ prophezeit, irgendwann in ferner Zukunft die Säugetiere als dominierende Tiergruppe auf unserem Planeten ablösen könnten?

Miske: Dies liegt meines Erachtens durchaus im Bereich des Möglichen – denken Sie an die genannten Voraussetzungen, die diese stammesgeschichtlich erfolgreichen Organismen mitbringen.

Alles Weitere, insbesondere die Abschätzung der Wahrscheinlichkeit des Eintretens eines solchen Falles, ist in der Tat reine Spekulation. Aber diese ist erlaubt, berechtigt und nicht zuletzt spannend. Und so war die Reihe letztlich auch gemeint: Es wurden Entwicklungshypothesen unter Anwendung unseres gegenwärtigen Wissens über die Stammesgeschichte der Lebewesen durchgespielt und auf mögliche Zukunften projiziert.

Der Übergang vom Wasser- zum Landleben wurde in der Vergangenheit von ganz unterschiedlichen Tiergruppen mehrfach vollzogen. Es gibt keinen entscheidenden Grund für die Annahme, dass den Nachfahren der heutigen Tintenfische die Eroberung des Festlandes nicht gelingen sollte. Bereits jetzt halten sich manche Kraken während der Beutesuche zeitweise außerhalb des Wassers auf – wenn sie von einem Gezeitentümpel zum nächsten gelangen wollen. Allerdings tragen Tintenfische seit Jahrmillionen einen für die Atmung relevanten Nachteil mit sich herum: Ihr Blutfarbstoff, das Hämocyanin, enthält als Zentralatom Kupfer. Dieser Blutfarbstoff bindet Sauerstoff in geringerem Maße als der Farbstoff unseres Blutes (Hämoglobin), der Eisen als Zentralatom enthält. Schon in der Vergangenheit kompensierten die Tintenfische dies durch Optimierung des Blutgefäßsystems – sie entwickelten wie erwähnt einen nahezu geschlossenen Blutkreislauf und neben dem Hauptherzen zwei weitere an den Kiemen. Wir können nur spekulieren, wie dieses Hochleistungssystem für das Landleben weiter optimiert werden könnte. Vielleicht durch eine – ziemlich gravierende und deshalb unwahrscheinliche, aber dennoch mögliche – Mutation, die das Kupfer gegen Eisen austauscht.

Insgesamt denke ich, dass Tintenfische zu den Tiergruppen gehören werden, denen eine erfolgreiche Zukunft bevorsteht, und zum Kreis der Kandidaten zählen, die in ferner Zukunft auf diesem Planeten dominieren könnten. Reine Spekulation, wohlgemerkt.

g-o.de: Herr Miske, wir bedanken uns für dieses Gespräch.

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Stand: 05.03.2004

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In den Schlagzeilen

Inhalt des Dossiers

Tintenfische
Intelligente Anpassungskünstler unter Wasser

Älter als die Dinosaurier...
500 Millionen Jahre Tintenfische

Drei Herzen, blaues Blut und noch viel mehr
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