Es juckt, die Haut ist rot und voller Bläschen, und das kaum ein paar Stunden nach dem Verzehr von Milch, oder Erdbeeren oder Thunfisch – ganz klar, eine Nahrungsmittelallergie, oder? In der Medizin kontrovers diskutiert, scheinen Allergien gegen Lebensmittel heute geradezu zu boomen. Fast alle erdenklichen Symptome, von Ausschlag über Durchfall bis hin zu psychischen Störungen sollen auf Nahrungsmittelallergien zurückgehen, kaum ein Lebensmittel kommt noch „schuldfrei“ davon.
Aber handelt es sich wirklich in jedem Fall um eine Allergie? Und wenn nicht, was ruft dann diese so allergieähnlichen Symptome hervor? Wissenschaftler unterscheiden hier sehr deutlich zwischen echten Allergien, bei denen eine übersteigerte Immunantwort die Symptome auslöst, und Intoleranzen oder Pseudo-Allergien, die zwar allergieähnlich Symptome hervorrufen, aber auf einem anderen Mechanismus beruhen.
Gerade die so häufig zitierten „Nahrungsmittelallergien“ sind in Wirklichkeit oft nichtallergische Unverträglichkeitsreaktionen. In der Schweiz befragten Allergologen in einer Fragebogenaktion Menschen nach allergischen Reaktionen auf Nahrungsmittel. Obwohl europäische Fachleute die Häufigkeit von Allergien bei Erwachsenen nur auf ein bis zwei Prozent schätzen, gaben zwölf bis 18 Prozent der Befragten an, unter Lebensmittelunverträglichkeiten zu leiden.
Viele Kinder sind beispielsweise von Geburt an „allergisch gegen Milch“. Gibt man diesen Säuglingen Kuhmilch zu trinken, leiden sie unter schweren Durchfällen und können, im Extremfall, sogar an Kreislaufkollaps sterben. Tatsächlich handelt es sich dabei aber keineswegs um eine allergische Reaktion sondern um eine Intoleranz. Die Ursache ist ein Mangel an Lactase, einem Enzym, das für die Milchverdauung entscheidend ist. Der in der Milch enthaltene Milchzucker kann ohne diese Lactase nicht gespalten werden, und der Körper versucht, den Milchzucker auf andere Art wieder loszuwerden….
Aber auch eine „vollständige“ Enzymausstattung schützt nicht vor den unangenehmen Folgen von Unverträglichkeiten. Die sogennanten pseudoallergischen Reaktionen können beispielsweise fast jeden treffen. Die „Schuldigen“ sind in diesem Fall die speziellen Inhaltsstoffe einiger Nahrungsmittel oder Medikamente: Bestimmte Käsesorten, Sauerkraut, Erdbeeren aber auch einige Kontrastmittel für Röntgenuntersuchungen und krampflösende Medikamente, enthalten von Natur aus den Vermittlerstoff Histamin oder regen bestimmte Schleimhautzellen dazu an, Histamin freizusetzen. Diese auch an allergischen Reaktionen beteiligte Substanz wirkt dann direkt auf Schleimhäute und Blutgefäße und löst bei empfindlichen Menschen Schleimhautschwellungen, Hautausschlag, oder Kopfschmerzen aus.
Auch einige „Fischallergien“ gehen auf Histamin in der Nahrung zurück: Besonders konservierte Thunfische und Makrelen enthalten häufig Bakterien, die Histamin produzieren. Die Unverträglichkeit gegen Aspirin galt seit ihrer Entdeckung Anfang des Jahrhunderts als eines der ersten Beispiele für eine typische Medikamentenallergie. Noch im Jahr 1919 schildert eine Veröffentlichung ausführlich die exemplarischen Symptome dieser Unverträglichkeit, und beschreibt Asthmaanfälle, Hautauschläge und Schleimhautschwellungen nach Einnahme der Acetylsalicylsäure.
Inzwischen mehren sich die Hinweise darauf, daß das Paradebeispiel leider keines ist: Die vermeintliche Allergie ist vermutlich auf eine Überempfindlichkeitsreaktion gegen die Salicylsäure zurückzuführen. Die Frage, ob es sich bei einer Unverträglichkeit um eine echte Allergie handelt oder nicht, ist vor allem für die Behandlung entscheidend. Während bei einer allergischen Reaktion oft eine Hyposensibilisierung dauerhaft helfen kann, wäre eine solche „Gewöhnungstherapie“ bei einer Intoleranz oder Pseudoallergie nicht nur nutzlos, sie könnte sogar schaden.
Stand: 26.03.2002