Allein in den letzten fünf Jahren ist es in Gebirgsräumen weltweit zu einer Häufung katastrophaler Naturereignisse gekommen. Viele Forscher sehen hier einen Zusammenhang mit den vermehrten Niederschlägen. So lösten 1997 sinnflutartige Regenfälle entlang der nordkalifornischen Küstenkette innerhalb kürzester Zeit eine ungewöhnlich hohe Zahl – 18.000- von Schlamm und Gerölllawinen aus.
1998 verursachten die starken Regenfälle des Hurrikans Mitch am Vulkan Casitas in Nicaragua eine meterhohe Schlamm- und Gerölllawine. Langanhaltender Regen ließ 1999 in den italienischen Alpen zahlreiche Muren abgehen. Extreme Niederschlagsverhältnisse führen im Februar 1999 in den Schweizer Alpen zu einem Jahrhundert-Lawinenwinter. Durch die tauenden Schneemassen kam es im darauffolgenden Frühjahr zu folgenschweren Überschwemungen im Alpenraum. Tagelange Unwetter führen im Oktober 2000 in den italienischen und Schweizer Alpen zu einer verherrenden Flut- und Erdrutschkatastrophe – Die Naturkatastrophen der letzen Jahre kosteten Tausenden von Menschen das Leben und richteten große Verwüstungen an.
Die Lawinengefahr steigt
Pro Winter sterben in den Alpen im Durchschnitt 80 bis 100 Menschen durch Lawinen. Skitouren außerhalb ausgewiesener Pisten sind die häufigste Ursache. Im Februar 1999 waren jedoch weniger die waghalsigen Skifahrer als vielmehr eine Witterungslage mit extrem hohen Niederschlägen für die Lawinenkatastrophe in der Schweiz verantwortlich. Die Schneemassen wurden zudem durch starke Windböen an Orte geblasen, die als eigentlich sicher galten. Die Bilanz des „Jahrhundertwinters“: 98 Tote und über 1.500 zerstörte Gebäude. Extreme Lawinenwinter gab es in den Alpen jedoch auch schon in der Vergangenheit. Aufzeichnungen, die bis ins Jahr 1566 zurückgehen, zeigen hierbei einen etwa hundertjährigen Rhythmus auf: 1689, 1720, 1808, 1951.
Aus einem einzelnen „Jahrhundertereignis“ verallgemeinernde Aussagen hinsichtlich zukünftiger Klimaentwicklungen abzuleiten, wäre wissenschaftlich natürlich nicht haltbar. Dennoch sind Klimaforscher wie Professor Wolfgang Seiler vom Institut für Meterologie und Klimaforschung in Garmisch-Partenkirchen, der Ansicht, dass Lawinenabgänge in den Alpen in Zukunft zunehmen werden.
Ein für die Alpen entwickeltes Klima-Modell zeigt: die Winter werden milder und vor allem feuchter, die Sommer hingegen trockener und heißer. Die Meterologen rechnen im Winter mit häufiger auftretenden Nord-West-Wetterlagen, die vermehrte Niederschläge mit sich bringen. Bis zum Jahr 2060 prognostiziert Seiler eine Zunahme der winterlichen Niederschläge um 70 Prozent. Dabei läßt der zu erwartende häufiger auftretende Wechsel von Schnee und Regen die Lawinengefahr enorm ansteigen. Stärkerer Wind wird zudem für Abgänge an völlig neuen Stellen sorgen.
Schlammströme und Bergstürze nehmen zu
Aber nicht nur die Gefahr durch Lawinenabgänge wird dramatisch ansteigen. Auch der durch den Temperaturanstieg hervorgerufene Rückzug der Gletscher und das Schmelzen des dauerhaft gefrorenen Bodens haben weitreichende Folgen für die Landschaftsentwicklung in den Gebirgen. Durch das Höherwandern der Permafrostgrenze taut das vormals gefrorene Lockermaterial von Gletschermoränen und Schutthalden auf. Schmelzwässer und die vermehrte Niederschlagstätigkeit mobilisieren das Material, das der Schwerkraft folgend zu Tal befördert wird. Diese murartigen Schuttströme besitzen aufgrund ihrer großen Geschwindigkeit und Reichweite eine hohe Zerstörungskraft.
Nach Schätzungen sind in den Alpen bereits ein Drittel aller Muren Folge des schmelzenden Permafrosts. Nicht nur das eisfreie Lockermaterial wird zur alpinen Problemzone. Der sich zurückziehende Gletscher gibt steile Felshänge frei. Durch das fehlende Gletschereis kommt es im Felsen zu einer langsamen Druckentlastung. Risse bilden sich, die Angriffsflächen für Verwitterungsvorgänge bieten. Auslösende Ereignisse wie Erdbeben oder aber intensive Niederschläge haben dann leichtes Spiel: Ganze Hangpartien lösen sich aus dem Felsverband und stürzen oder gleiten zu Tal.
Naturkatastrophen häufen sich
Um gesicherte Prognosen über die Folgen des aktuellen Eisabbaus in den Hochgebirgen zu bekommen, versuchen Klimaforscher, aus der Rekonstruktion vergangener Gletscherstände und der Altersbestimmung historischer Massenbewegungen Rückschlüsse zu ziehen. So haben C 14-Radiocarbondatierungen in den bayerischen Alpen gezeigt, dass viele Bergstürze in die Zeit des atlantischen Klimaoptimums fallen. Einer Zeit während des Holozäns, in der wohl der 5.000 Jahre alte „Ötzi“ gelebt haben muss. Wie der Name verrät, herrschte während des Klimaoptimums im Vergleich zu heute wärmeres Klima und auch die Permafrost- und Schneegrenzen lagen über den heutigen.
Die große Häufigkeit von Massenbewegungen in dieser Zeit läßt für die Alpen in Zukunft eine Zunahme derartiger Ereignisse erwarten. Hochgebirgsforscher wie der Schweizer Häberli sind sich zudem sicher, dass der aktuelle Gletscherrückgang die Bandbreite natürlicher, nacheiszeitlicher Schwankungen bereits überschritten hat – und führt ihn demnach auf eine vom Menschen beschleunigte Klimaerwärmung zurück.
Natürliche Prozesse im Hochgebirge werden somit durch anthropogenen Einfluß forciert. Da der Mensch die Gebirgsräume als Lebens-, Wirtschafts- und Erholungsraum nutzt, werden Naturereignisse wie Lawinen, Überschwemmungen oder Massenbewegungen zunehmend zur Naturkatastrophe.
Stand: 23.03.2002