Doch der Massentourismus in den Alpen hat noch tiefgreifendere Folgen: Er untergräbt die kulturelle Eigenart der Bergbewohner. Das traditionelle Bergbauerntum stirbt aus. Dabei nimmt die ökologische Bedeutung dieser Lebens- und Wirtschaftsform in dem Maße zu, wie der Tourismus dem alpinen Lebensraum immer stärker zusetzt.
Denn die standortgerechte Bewirtschaftung aller Höhenstufen – von Mähwiesen bis Alpenweiden – ist der wichtigste Faktor zur Erhaltung der alpinen Kulturlandschaft. Dabei ist das „richtige Maß“ der Naturnutzung – festgelegt in der Anzahl der Weidetiere oder dem Zeitpunkt der Heuschnitte – überliefertes Grundwissen, das von Generationen zu Generation weitergegeben wurde. Mit jedem Bergbauern verschwindet auch dieses Wissen.
Flächen, die bereits in Kulturland überführt wurden, müssen ständig gepflegt und repariert werden, um sie stabil gegenüber natürliche Prozessen wie Gewitter, Wildbäche oder Lawinen zu halten. Geschieht dies nicht, kumulieren kleinere Schäden mit der Zeit und können zu zerstörerischen Massenbewegungen auswachsen. In den Jahren 1999 und 2000 verwüsteten Erdrutsche und Schlammlawinen in den Alpen ganze Landstriche und kosteten zahlreichen Menschen das Leben.
Um die seit Jahrhunderten gewachsene Kulturlandschaft der Alpen – auch im Interesse des Fremdenverkehrs – zu bewahren, muss die traditionelle alpine Wirtschaftsform zu neuem Leben erweckt werden. So fordern es die zahlreichen Arbeitsgemeinschaften und Kommissionen zum Schutz der Alpen. Auch in den Fachprotokollen der Alpenkonvention werden hierzu Lösungsansätze genannt. Gerade im Rahmen des „Jahr der Berge“ beschäftigen sich Fachleute verstärkt mit diesem Thema.
Um das Bergbauerntum wiedererstehen zu lassen, muss es vor allem für ihre Leistungen – ein sicherer Lebensraum und eine schöne Landschaft – entschädigt werden. So sollen beispielweise die Mittel staatlicher Kulturlandschaftsprogramme die Bergbauern für ihren Aufwand bei der Gestaltung und Sicherung der Landschaft entschädigen.
Doch die Bergbauern sollen nicht nur zu Landschaftspflegern werden. Nach den Strategien der Arbeitsgemeinschaften will man sich in Zukunft auf die Produktion qualitativ hochwertiger Produkte – wie beispielsweise ÖKO-Bergkäse – spezialisieren. Wichtig ist nach Ansicht von Experten dabei die Stärkung eigener Wirtschaftskreisläufe – wie die lokale Weiterverarbeitung und Direktvermarktung der landwirtschaftlichen Produkte etwa in Bauernläden.
Auch in Sachen Tourismus versucht man neue Wege zu beschreiten. Denn Landwirtschaft und Tourismus schließen sich nicht unbedingt aus. Mit alternativen Tourismuskonzepten, dem „Agritourismus“ sollen Gäste – vor allem auch für die Zwischensaison, abseits der winterlichen Skisaison – gewonnen werden. Bei den „Ferien auf dem Bauernhof“ steht das Naturerlebnis Alpen – mit glücklichen Kühen – und das traditionelle Schaffen und Leben ihrer Bewohner im Vordergrund. Wird die alpine Welt doch wieder ein Stückchen heiler?
Stand: 23.03.2002