Geologie/physische Geographie

Das senkrechteste Loch der Welt

Was so schwer daran ist, "gerade" in die Erde zu bohren

Jährlich werden auf der ganzen Welt tausende von Bohrungen niedergebracht, zumeist auf der Suche nach Erdöl und Erdgas. Dabei werden vereinzelt auch ansehnliche Tiefen erreicht, wie zum Beispiel 1974 bei einer Erdgasexploration im US-Staat Oklahoma: der Meißel stoppte dort bei 9583 Metern.

Doch bei diesen Bohrungen werden meist Sedimentgesteine durchbohrt, die weniger hart und wegen der regelmäßigen Schichtenfolge leichter zu durchdringen sind als die sogenannten Metamorphite im Gebiet der KTB.

Schema des Bohrers mit Steuervorrichtungen © KTB

Die deutschen Geowissenschaftler hatten ursprünglich eine Tiefe von 12 bis 14 Kilometern angepeilt. In diesem Bereich mit Temperaturen von 250 bis 300 Grad Celsius beginnt brüchiges-sprödes Gestein normalerweise plastisch zu werden. Um in eine solche Tiefe zu gelangen, mußten die Geowissenschaftler ein bis dahin ungewöhnlich senkrechtes Loch bohren – und das bei dem sehr harten und in seiner verfalteten Struktur äußerst schwierig zu durchteufenden Gestein des Grundgebirges.

Das Problem ein „gerades“ Loch in die Erde zu bohren, kann man sich etwa so verdeutlichen: Wenn man eine einzelne kurze, dünne Stange in den Boden schiebt, dann ist das Loch, das entsteht, so gerade wie diese Stange. Um tiefer vorzudringen, steckt man jetzt nach und nach neue Stangen auf die alte. Die Gesamtlänge nimmt dadurch zu, man dringt tiefer in den Boden ein, aber diese Art von Teleskopstange wird mit jedem neuen Stück instabiler. Je länger sie wird, desto schlechter wird die Kontrolle über die Stangenspitze im Boden. In gleichmäßig, weichem Boden ist das kein Problem, aber je uneinheitlicher und härter er ist, desto schwieriger wird es, die Stangenspitze „in der Bahn“ zu halten.

Pionierarbeit in Grundgebirge hatten sowjetische Wissenschaftler und Ingenieure bei Murmansk auf der Halbinsel Kola geleistet. Sie stießen bis in 12260 Meter vor – das tiefste Loch der Welt, nach jahrelangem Ringen um die letzten 200 Meter. Die Abweichung von der Lotrechten betrugen bis zu 840 Meter, was umfassende Untersuchungen und regelmäßige Messungen praktisch unmöglich machte. Dieses hatten sich die deutschen Wissenschaftler aber vorgenommen.

Um also eine größtmögliche Ausbeute zu erzielen, mußten sie so tief wie möglich an der Senkrechten bleiben. Dazu war es notwendig möglichst genau zu wissen, wie die bohrtechnischen Bedingungen des Gesteins vor Ort waren. Deshalb bohrten sie zunächst ein Probeloch bis in exakt 4000,1 Meter. Hier testeten sie neues Bohrwerkzeug und gewannen erste Erkenntnisse über das Gestein, zum Beispiel dessen Dichte, die chemische Zusammensetzung, die natürliche Radioaktivität oder die elektrische Leitfähigkeit. Zudem erhielten sie Bohrkerne von 90 Prozent der Strecke, die damit in der Hauptbohrung nicht mehr gezogen werden mußten.

Wissenschaftler konnten sich bei der Hauptbohrung also voll und ganz auf die Vertikale im Bereich unter 4000,1 Meter konzentrieren, um damit die extremen Reibungen zu vermeiden, die in größeren Tiefen zu unüberwindbaren Problemen führen.

Um das ”senkrechteste” tiefe Loch der Welt zu bohren, verwendeten die Bohrfachleute extra für dieses Großvorhaben entwickelte Vertikalbohrsysteme, die das Bohrwerkzeug automatisch entgegen den im Grundgebirge besonders starken Ablenkkräften im Lot halten. Sensoren messen hierbei laufend die Neigung des Meißels im Loch. Bei Abweichungen von der Senkrechten aktiviert eine Steuerelektronik über magnetische Ventile eine von vier seitlich angebrachten Steuerrippen. Hydraulisch angetrieben, fährt die Rippe in Richtung Bohrlochwand aus und bewirkt so eine Korrektur. Durch dieses „Bohrsystem“ behielten sie also die Kontrolle über die Bohrspitze am Ende der Stange.

Bis in 7500 Meter ist das Loch so senkrecht wie kein zweites auf der Welt. Dann zwangen jedoch hohe Temperatur und Probleme mit der Bohrlochstabilität den Bohrer aus der Vertikalen. Bei der Endtiefe von 9101 betrug die Abweichung rund 300 Meter in nordöstlicher Richtung. Trotzdem: Weltrekord.

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Stand: 21.12.2001

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In den Schlagzeilen

Inhalt des Dossiers

Vorstoß in die Tiefe
Warum Wissenschaftler Löcher in die Erde bohren

Auf der Suche nach Antworten
Tiefbohrung als Methode der Geowissenschaftler

Zwei Typen von Kruste
Das revolutionäre Ergebnis der Tiefseebohrungen

Vom Ozean auf´s Festland
Vom DSDP zum KTB

Eine Wiese in der Oberpfalz
... wo einst Kontinente kollidierten

Die Oberpfalz
Ein kurzer geologischer Exkurs

Das senkrechteste Loch der Welt
Was so schwer daran ist, "gerade" in die Erde zu bohren

Das Werkzeug
Der Turm, die Meißel und eine "Wunderspülung"

Was die Wissenschaftler fanden
Ergebnisse der KTB

Und was kommt jetzt?
Die Zukunft der wissenschaftlichen Tiefbohrungen

Glossar
Von Asthenosphäre bis Wegener, Alfred

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