Norden ist immer da, wo die Kompassnadel hinzeigt – oder doch nicht? Schon die frühen Seefahrer stellten fest, dass die Nordrichtung der Kompassnadel und der „wahre Norden“, den sie beispielsweise mithilfe des Polarsterns lokalisierten, leicht voneinander abwichen. Diese „Deklination“ war keineswegs überall gleich, sondern veränderte sich von Ort zu Ort. Diese Erkenntnis war äußerst beunruhigend, bedeutete sie doch, dass Karten und Kompassmessungen schon nach einigen Jahren ungenau wurden.
Seltsame Schwankungen
Und die Veränderungen waren zu allem Überfluss nicht regelmäßig, sondern variierten in Stärke und Richtung. 1724 beobachtete George Graham, dass die Kompassnadeln manchmal sogar im Laufe eines Tages begannen, von der bisherigen Nordrichtung abzuweichen. Einige Stunden später kehrten sie jedoch wieder in die ursprüngliche Richtung zurück. Wie ließ sich dieses seltsame Verhalten erklären? Kein bekannter Magnet zeigte ein solches Phänomen, warum dann die Erde?
Inzwischen weiß man, dass diese Variationen eng mit dem Entstehungsmechanismus des Erdmagnetfelds verknüpft sind. Im Gegensatz zu den relativ einfachen, klar strukturierten Feldlinien eines Stabmagneten, ist das irdische System extrem komplex. Sein Ursprung liegt tief im Inneren der Erde, in einem Wechselspiel zwischen dem äußeren und dem inneren Erdkern. Während letzerer aus festem Eisen besteht, ist das Eisen des äußeren Kerns flüssig und in ständiger Bewegung. Und diese Strömung ist es, die als Motor des Erdmagnetismus dient.
Fluktuierende Strömungen
Nach dem Prinzip eines Elektromagneten erzeugt die Bewegung des elektrisch leitenden flüssigen Eisens gegenüber dem feststehenden Erdkern ein elektrisches Feld. Dieses wiederum sorgt dafür, dass die Strömung anhält und das Magnetfeld aufrechterhalten wird. Die Strömungsverläufe im äußeren Kern sind nicht geradlinig, sondern folgen vermutlich komplexen, wechselnden Mustern. Auch die Form und Stärke der magnetischen Feldlinien, die an den Polen der Erde aus dem Inneren austreten und sich in Bögen zum jeweils anderen Pol ziehen, variiert.
Durch diese magnetischen Fluktuationen der Feldlinien verändert sich auch die Lage der magnetischen Pole. Ihre Position ist definiert als der Ort, an dem die Feldlinien genau senkrecht zur Erdoberfläche stehen. Eine Kompassnadel zeigt beispielsweise am magnetischen Nordpol genau senkrecht auf den Boden, ihr „Dip“ beträgt dort genau 90°. Doch durch die fluktuierenden Magnetfeldlinien wanderte dieser Punkt allein innerhalb der letzten 100 Jahre um mehr als zehn Kilometer nach Nordwesten.
Doch es gibt noch ein weiteres erstaunliches Phänomen: Der magnetische Nordpol wandert nicht nur langsam, er taumelt sogar innerhalb eines Tages in einer elliptischen Bewegung um seine durchschnittliche Position. Bis zu 80 Kilometer kann er sich während dieser Wanderung vom Mittelpunkt der Ellipse entfernen. Die Ursachen für diese kurzzeitigen diurnalen Bewegungen liegen im Gegensatz zur längerfristigen Polwanderung nicht im Erdinneren, sondern weit draußen im Weltall.
Nadja Podbregar
Stand: 15.12.2001