Zoologie

Evolution im Rekordtempo

Industriemelanismus beim Birkenspanner

Stabheuschrecke © Frank Hofmann

Kampf ums Dasein, „Survival of the fittest“, natürliche Auslese – all diese heute selbstverständlichen Schlagworte der Evolution waren bis Mitte des 19. Jahrhunderts allenfalls Insidern ein Begriff. Erst durch die Veröffentlichungen von Charles Darwin und A.R. Wallace 1859 wurden sie einer breiteren Öffentlichkeit bekannt und sorgten für neuen Schwung in den Überlegungen über die Entstehung der Arten und ihre Veränderung im Laufe der Erdgeschichte.

Bis dahin glaubte man wie Carl von Linne (1707 -1778) fest daran, dass die bestehenden Arten entweder schon immer auf der Erde gelebt hätten oder, wie Georges Cuvier (1769 – 1832) vermutete, dass sie gelegentlich durch globale Katastrophen ausgelöscht und durch göttliche Schöpfung immer wieder neu erschaffen wurden.

Aber auch nach der Veröffentlichung des Buches „On the origin of species by means of natural selection“ war die von Darwin (1809 – 1882) zusammengetragene Evolutionstheorie bei Laien, aber auch in Wissenschaftlerkreisen, noch längst nicht akzeptiert. Immer wieder regten sich kritische Stimmen, die sich mit den Fakten und Hypothesen – zum Teil aus religiösen Gründen – nicht abfinden konnten. Sie forderten konkrete Beweise für die Evolution aus dem alltäglichen Leben. Da sich Evolutionsprozesse aber meist über einen extrem langen Zeitraum erstrecken, waren diese nur schwer zu finden.

Einen wichtigen Beweis für die Evolution und ihre Ursachen lieferte im 19. Jahrhundert ein relativ unscheinbarer Falter, der noch heute in Mitteleuropa relativ häufig zu finden ist, der Birkenspanner.

Diese nachtaktiven Tiere verbringen die Tagesstunden meist damit sich am Stamm von Birken oder anderen Bäumen auszuruhen und auf die Dämmerung zu warten. Durch ihre charakteristische Färbung – weiß mit dunklen Punkten und Streifen – fallen sie vor diesem Hintergrund kaum auf und sind deshalb vor Fressfeinden wie Goldammern, Rotkehlchen oder Singdrosseln sicher. Schon immer gab es neben diesen gut angepassten hellen Exemplaren auch Mutanten, die durch den Farbstoff Melanin dunkel gefärbt waren. Diese unterscheiden sich von den „normalen“ Birkenspannern nur durch ein einziges dominantes Gen. Die meisten dieser Mutanten werden in der Natur schnell ausgemerzt, weil sie vor dem hellen Hintergrund des Birkenstammes schnell auf- und so den Vögeln zum Opfer fallen.

Birkenspanner © Hannes Birnbacher

Zu Beginn der Industriellen Revolution änderte sich die Situation für die Birkenspanner innerhalb kürzester Zeit völlig. Schwarzer Ruß aus den überall aus dem Boden schießenden Fabrikschloten setzte sich auf den Bäumen und ihrer Rinde ab und färbte sie dunkel. Dies hatte schwerwiegende Folgen für die Überlebenschancen der Birkenspanner. Plötzlich waren die bis dahin sehr seltenen schwarzen Mutanten im Vorteil. Mit ihren dunkel gefärbten Flügeln waren sie nun auf den rußgeschwärzten Stämmen kaum mehr zu erkennen und wurden deshalb von Feinden kaum noch entdeckt. Sie hatten quasi über Nacht eine wirksame Tarntracht und damit einen Selektionsvorteil erhalten. Die hellen Falter aber boten den Vögeln jetzt ein gutes Ziel und wurden im Rahmen der natürlichen Auslese in großen Mengen gejagt und erbeutet.

Innerhalb von 50 Jahren vermehrten sich deshalb die schwarzen Birkenspanner beispielsweise in Manchester und Umgebung in rasantem Tempo. 1895 zeigten bereits 95 Prozent aller Falter eine dunkle Körper- und Flügelzeichnung, die unter dem Namen Industriemelanismus weltweit berühmt geworden ist. Konnte man einen besseren Beweis für die Evolution der Lebewesen und ihre Mechanismen finden?

Mittlerweile gibt es zahlreiche Schmetterlingsarten, die aufgrund der starken Umweltverschmutzung vor allem in den Ballungs- und Industriegebieten diese Form der Anpassung an ihren Lebensraum vollzogen haben.

Die Faktoren, die beim Birkenspanner eine Anpassung an den veränderten Lebensraum ermöglichten, spielten unter anderem auch bei der Entwicklung anderer Tarn- und Warntrachten, bei Mimese und Mimikry, eine entscheidende Rolle. Nur hat sich die Veränderung der Arten in diesen Fällen meist über viele Jahrhunderte oder Jahrtausende entwickelt und konnte deshalb nicht wie beim Birkenspanner direkt in der Natur verfolgt werden…

  1. zurück
  2. |
  3. 1
  4. |
  5. 2
  6. |
  7. 3
  8. |
  9. 4
  10. |
  11. 5
  12. |
  13. 6
  14. |
  15. 7
  16. |
  17. 8
  18. |
  19. 9
  20. |
  21. 10
  22. |
  23. 11
  24. |
  25. 12
  26. |
  27. 13
  28. |
  29. weiter


Stand: 08.12.2001

Keine Meldungen mehr verpassen – mit unserem wöchentlichen Newsletter.
Teilen:

In den Schlagzeilen

Inhalt des Dossiers

Maskenball im Tierreich
Tarnen und Täuschen als Überlebensstrategie

Gut getarnt, ist halb gewonnen
Tricks zum Überleben

Evolution im Rekordtempo
Industriemelanismus beim Birkenspanner

Tarnkappe Umwelt
Mimese

Eine Sensation im brasilianischen Urwald...
Batessche Mimikry

Ein Plagegeist als Vorbild
Mimikry bei Wespen

Imitieren um zu jagen
Angriffs-Mimikry

Mundraub als Überlebensstrategie
Von Skuas und Kermadecs

Wenn sich Räuber als Putzteufel tarnen
Mimikry bei Putzerfischen

Abschrecken durch Uniformität
Müllersche Mimikry

Das Rätsel um die Korallenschlangen...
Mertensche Mimikry

Von Tintenfischen, Blattläusen und Meisen
Optische, chemische und akustische Mimikry

Wenn Pflanzen Tiere imitieren
Orchideen und ihre Methoden zur Fortpflanzung zu kommen

Diaschauen zum Thema

keine Diaschauen verknüpft

News zum Thema

keine News verknüpft

Dossiers zum Thema

Tintenfische - Intelligente Anpassungskünstler unter Wasser