„Land in Sicht!“ Dieser früher meist euphorische Ruf aus dem Ausguck der Segelschiffe hat in der Kaspi-Region einen eher faden Beigeschmack. Denn alle Interessenten für das kaspische Erdöl und Erdgas haben mit einem gewaltigen Problem zu kämpfen: Die riesigen Erdölfelder haben keinen natürlichen Zugang zum offenen Meer und damit zu den Abnehmermärkten. Einzige Lösung: Pipelines müssen her, die die begehrten Rohstoffe über viele hundert oder tausend Kilometer zu einem großen Hafen transportieren. Von dort aus könnten die fossilen Brennstoffe dann in alle Welt verschifft werden.
Bisher laufen die Exporte von Erdöl und Erdgas fast ausschließlich über das russische Pipelinenetz. Das stört zwar die Russen nicht – schließlich können sie Gebühren für die Benutzung der Pipelines kassieren und die Rohstoffe nach eigenem Gutdünken strömen oder eher tröpfeln lassen, für die westlichen Investoren aber ist dieser Zustand auf Dauer natürlich wenig verheißungsvoll. Auch die 1997 vollendete Erdgaspipeline von Korpedsche in Turkmenistan nach Kurd Kui im Nordiran oder die Erdölpipeline von Baku nach Supsa in Georgien an der Schwarzmeerküste – Inbetriebnahme 1999 – brachten da nur wenig Hoffnung auf Besserung.
Vorschläge für den Verlauf weiterer neuer Pipelines gibt es deshalb viele. Fast jede Nation oder Gesellschaft, die in der Region vertreten ist hat dabei eine eigene Spezialtrasse ins Auge gefasst. Der Iran zum Beispiel möchte eine Pipeline haben, die von Baku aus am Elbrus-Gebirge vorbei zum Persischen Golf zieht. Die USA dagegen und ihre Verbündeten, wie die Türkei, sähen es natürlich lieber, wenn eine andere Route schnellstmöglich fertig gestellt würde: Baku – Georgien – Türkische Mittelmeerküste (Ceyhan).
Die Chinesen dagegen planen eine sogenannte „Freundschaftspipeline“, die von Kasachstan aus mehrere tausend Kilometer weit in den Fernen Osten führen soll. Sogar eine Pipeline unter amerikanischer Kontrolle vom Kaspischen Meer aus quer durch Afghanistan zum Arabischen Meer war eine zeitlang im Gespräch. Durch die unsichere Machtsituation im Land der Mujahedin und Taliban musste das Vorhaben aber jahrelang auf Eis gelegt werden. Wenn nach dem Afghanistan-Krieg der USA und ihrer Verbündeten aber tatsächlich stabile politische Verhältnisse in der Region entstehen, könnte dieser Plan schnell wieder aus der Mottenkiste gezaubert werden…
Egal welche Variante auch immer zur Debatte steht: Die Lösung, die von der einen Seite bevorzugt wird, lehnt die andere Seite strikt ab. Noch immer ist deshalb in der Region ein Machtpoker zwischen den beteiligten Mächten im Gange, dessen Ende ungewiss ist.
Doch letztlich wird kaum einer dieser Vorschläge beim „Pipeline-Poker“ in nächster Zeit ohne größere Probleme in die Tat umgesetzt werden können. Verantwortlich dafür ist neben den Investitionen in Milliardenhöhe für den Bau der jeweiligen Trasse vor allem die unsichere Situation in der Region um das Kaspischen Meer. Die Staaten dort sind noch jung und politisch wenig stabil. Ein Pipelinebau birgt deshalb erhebliche Risiken. Was passiert beispielsweise wenn eine befreundete Regierung gestürzt wird und die nachfolgende den Öl- oder Gashahn einfach zudreht? Welche Auswirkungen haben mögliche militärische Konflikte zwischen den vielen verschiedenen Völkern innerhalb der Anrainerstaaten auf den Bau und die Sicherheit der Pipeline? Fragen, die natürlich auch mögliche Anleger beschäftigen und mit Milliarden-Investitionen zögern lassen.
Trotzdem gibt es bereits heute zahlreiche konkrete Projekte in der Kaspi-Region. Zu verlockend sind die Aussichten auf gewaltige Gewinne im Handel mit den begehrten fossilen Rohstoffen. In Aserbaidschan – im südlichen Teil des Kaspischen Meeres nahe Baku – kümmert sich beispielsweise die AIOC (Azerbaijan International Operating Co.) mit Teilhabern wie BP-Amoco oder Statoil um die Erkundung und den Abbau der Erdölfelder Aseri, Tschirag und Guneschli. Bei der Ausbeutung des Shah Deniz-Prospektes ganz in der Nähe hat sich BP-Amoco unter anderem mit Elf Aquitaine zusammengetan. Und bei den Forschungen im kasachischen Shelfbereich des Kaspischen Meeres arbeiten Shell, Mobil, Total, Agip, British Gas und BP-Amoco zusammen…
Stand: 07.11.2001