Lawinen gibt es schon, solange es Berge gibt. Aber während früher im Winter viele Bergtäler im Winter menschenleer und von der Außenwelt abgeschnitten waren, bringt heute der Skitourismus Tausende von Menschen über gut ausgebaute Zufahrtsstraßen und Bahnlinien noch in die entlegenste Bergregion. Jahrhundertelang haben die Bergbewohner mit der „weißen Gefahr“ zu leben gelernt und ihre Höfe und Siedlungen nur an sicheren Orten errichtet, heute sind auch seit jeher als lawinengefährdete geltende Gebiete mit Ferienhäusern und Hotels dicht bebaut.
Im schweizerischen Davos wurden zu Beginn unseres Jahrhunderts ganze Sanatorien mitten in Lawinenbahnen hineingestellt. Inzwischen ist der Neubau in Zonen mit großer Gefahr zwar verboten und die Risikozonen in den meisten Alpenländern in sogenannten „Gefahrenzonenplänen“ erfaßt. Die bestehenden Siedlungen und Gebäude sind aber immer noch bedroht.
Als Folge ist der Aufwand, der für Lawinenabwehr und Schutzvorrichtungen getrieben werden muß, in den Alpenregionen heute enorm. Ganze Scharen von Wissenschaftlern beschäftigen sich mit der Optimierung der Schutzmaßnahmen und Forschungseinrichtungen wie das Eidgenössische Institut für Schnee- und Lawinenforschung (SLF) veranstalten regelmäßig Lawinenschutzforen, auf denen die jeweils neuesten Entwicklungen vorgestellt und diskutiert werden.
Die Experten unterscheiden zwischen kurz- und langfristigem Lawinenschutz.Bei den kurzfristigen Maßnahmen reagiert man auf eine akute Lawinengefahr. Die Bildung einer Lawine wird nicht verhindert, sondern zum Teil sogar unter kontrollierten Bedingungen selbst ausgelöst. Schutz ist hier in erster Linie passiv und beinhaltet das Sperren von Straßen und Skipisten, Evakuierungen oder die Verbreitung von Lawinenwarnungen.
Im Gegensatz dazu will langfristiger Lawinenschutz Lawinen aktiv verhindern oder zumindest bremsen oder ablenken. Massive Verbauungen aus Beton, Barrikaden aus Stahlstangen und Netze aus Drahtseilen sollen gefährdete Siedlungen schützen oder in den Anrißgebieten den Schnee am Gleiten hindern, massive Betonfundamente oder im Fels verankerte Halterungen der Wucht des Schnees trotzen. Die Kosten für solch aufwendige Lawinenschutzmaßnahmen sind allerdings hoch: Allein in der Schweiz wurden seit 1950 1,2 Milliarden Franken für Lawinenschutzmaßnahmen ausgegeben.
Auch aus diesem Grund setzt man heute wieder verstärkt auf natürlichen Lawinenschutz durch Bergwälder. Der Wald stellt den nicht nur den billigsten sondern auch den besten und wirksamsten Schutz dar, unter bestimmten Bedingungen ist er jeder baulichen Maßnahme haushoch überlegen. Allerdings ist die Wiederaufforstung nicht ganz einfach. Gerade an sehr exponierten Hängen haben die eingesetzten Baumarten nicht nur unter Wind, Kälte und oft auch Wassermangel zu leiden, die noch jungen Bäume müssen auch bis zu einem gewissen Alter durch zusätzliche Schutzbauten vor Kriechschnee und Lawinen geschützt werden.
Welche Baumarten für welche Standorte geeignet sind, und wie die Bäume am besten angeordnet werden, stellt sich oft erst in der Praxis heraus. Bei Aufforstungsversuchen in der Schweiz an einem Südhang mit hohen Niederschlägen und viel Schnee zeigte sich, daß vor allem Bergahorn, Vogelbeere und Fichte gut mit den speziellen Boden- und Klimaverhältnissen zurecht kamen. Lärchen, die sich an anderen Standorten sehr gut als Schutzwald eignen, konnten sich dort dagegen nicht lange halten.
Eine Langzeituntersuchung im schweizerischen Stillberg ergab, daß das Überleben und die Entwicklung der Bäume entscheidend von der Dauer der Schneebedeckung im Frühjahr abhängt. Parasitische Pilze, die in subalpinen Lagen hohe Verluste in Aufforstungen verursachen können, breiten sich besonders gut an Stellen mit langer Schneebedeckung aus und können den Wald an diesen Standorten völlig zerstören.
Auch die Form der Pflanzungen hat sich durch die praktischen Erfahrungen geändert: Wo früher noch mit gleichmäßigen Abständen und flächendeckend gepflanzt wurde, ist man heute dazu übergegangen, die Bäume in vielen kleinen aber dafür dichten Gruppen zu setzen. Dadurch entstehen naturnahere und stärker strukturierte Wälder, die widerstandsfähiger gegen Schnee- oder Sturm sind.
Stand: 20.10.2001