Krankheiten der Armut sind nicht nur auf Entwicklungs- und Schwellenländer begrenzt. Auch in Deutschland und anderen reichen Ländern schlägt wenig Geld auf die Gesundheit. In Deutschland leben laut dem aktuellen Armutsbericht 15,7 Prozent der Menschen unterhalb der Armutsgrenze – ein neuer Höchststand seit der Wiedervereinigung.
Doch wer fällt in diese Kategorie? Menschen gelten dann als arm, wenn sie über weniger als 60 Prozent des mittleren Einkommens verfügen – für einen Single sind das 942 Euro. Diesem Risiko sind besonders Arbeitslose, Alleinerziehende, Ausländer, Rentner und Großfamilien ausgesetzt. Natürlich lässt sich Armut nicht auf einen einzigen Wert herunterbrechen, sie ist ein relatives Konzept und lässt sich kaum vergleichen. Die Armutsgrenze liefert jedoch eine erste Einschätzung über die Situation in einem Land.
Weniger Geld, mehr Leid
Dass es armen Menschen in Deutschland deutlich schlechter geht als dem Durchschnitt, ist vielfach belegt. Hier sind nicht Tropenkrankheiten oder Vitaminmangel das Problem, sondern meistens Zivilisationskrankheiten. In Armut lebende Menschen erleiden häufiger einen Herzinfarkt oder Schlaganfall, sie sind häufiger fettleibig und erkranken öfter an Diabetes, Magengeschwüren und Lungenentzündungen. Die Benachteiligten leiden aber nicht nur körperlich, sondern auch seelisch: Ein niedriger Sozialstatus kann zu Depressionen, Sucht und Angststörungen führen.
Aber woran liegt das? Von Armut betroffene Menschen rauchen häufiger, ernähren sich schlechter und gehen seltener zum Arzt. Unsichere Jobs und Arbeitslosigkeit führen zusätzlich zu Stress, der bekanntlich krank machen kann. Selbst das direkte Wohnumfeld spielt in Deutschland eine Rolle, denn in sozial benachteiligten Stadtvierteln ist die Feinstaubbelastung höher und damit auch das Risiko für Atemwegserkrankungen.
Das Problem beginnt jedoch nicht erst im Alter, sondern schon viel früher – im Mutterleib. Von Armut betroffene Mütter rauchen häufiger in der Schwangerschaft, stillen seltener und gehen mit dem Kind zu weniger Vorsorgeuntersuchungen. Das Problem wird so von Generation an Generation weitergegeben. Der Sozialstaat trägt nur wenig zu einer Verbesserung bei: Für die Ernährung von Kindern zwischen sechs und 14 Jahren sieht der Hartz IV-Satz von 2018 nur vier Euro am Tag vor, für die Gesundheit gerade einmal 7,43 Euro im Monat.
Arme Menschen sterben früher
All jene Risikofaktoren senken die Lebenserwartung von Menschen mit geringem Einkommen deutlich. Benachteiligte Männer sterben fast elf Jahre früher als ihre wohlhabenden Geschlechtsgenossen, bei Frauen beträgt der Unterschied immerhin noch acht Jahre. Besonders in strukturschwachen Regionen im Osten und im Rheinland ist die Lebenserwartung unterdurchschnittlich, im wohlhabenderen Süden des Landes – in Bayern und Baden-Württemberg – leben die Menschen dagegen am Längsten.
Kein Zugang zum Gesundheitssystem
Arme Menschen müssen sich in Deutschland zwar mit anderen Krankheiten herumschlagen als in Entwicklungsländern. Ein grundlegendes Problem bleibt jedoch dasselbe: der mangelhafte Zugang zum Gesundheitssystem. Schätzungen zufolge sind mehrere hunderttausend Menschen in Deutschland nicht krankenversichert, ihnen fehlt das Geld. Die Zivilgesellschaft versucht diese Lücke zu schließen.
So müssen offene Arztpraxen sozialschwache Menschen auffangen, die durch das Netz der Krankenkassen fallen. Die Ärzte arbeiten ehrenamtlich in den Praxen, die Finanzierung läuft über Spenden. Mittellose Patienten bekommen hier kostenlos ansonsten teure Zahnbehandlungen oder Sehtests. Für eine nachhaltige Lösung empfehlen Mediziner jedoch mehr Aufklärung, die auch zielgerichtet im Lebensumfeld der Betroffenen ankommt. Sozialarbeit und Medizin müssen hier Hand in Hand agieren.
Yannick Brenz
Stand: 06.04.2018