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Pipette statt Gießkanne

Wie Bioinformatik die personalisierte Medizin voranbringt

Der Trend geht hin zu einer personalisierten Medizin, auch Präzisionsmedizin genannt. Gemeint ist damit das Ziel, sich an den individuellen Merkmalen des kranken Menschen zu orientieren, um Vorhersage, Therapie und Prognose möglichst passgenau auf ihn auszurichten.

Langfristig soll der Arzt bereits anhand des genetischen Profils seines Patienten ablesen können, welche Mittel für ihn am besten sind. „Das individuelle Genomprofil ist dann auf der Gesundheitskarte vermerkt, daher bekommt jeder Patient genau das Medikament, das er gut verträgt“, schildert Burkhard Rost die Zukunftsvision. „Sogar die Ernährung könnte man optimal auf die genetischen Eigenschaften eines jeden abstimmen.“

Unsere DNA besteht zu rund 95 Prozent aus sogenannter "Junk"-DNA. Was sie genau tut, ist bsiher erst in Ansätzen verstanden. © Keng ho Toh/ iStock.com

Das Geheimnis der Junk-DNA

Davon ist man aber immer noch weit entfernt. Mitschuld daran ist ein großer Irrtum über unser Erbgut: Lange herrschte die Vorstellung, dass die nicht codierenden DNA-Stücke, die zwischen den bekannten Genen liegen, zu nichts nütze seien. „Junk“ – Müll – nannte man sie deswegen zunächst. Erst ganz allmählich kamen Forscher dahinter, dass Teile dieser DNA, die immerhin rund 95 Prozent der menschlichen Erbsubstanz ausmacht, ebenfalls wichtige Funktionen ausführen: Sie besorgen das An- und Abschalten von Genen, aber enthalten auch Informationen über die evolutionäre Entwicklung des Organismus.

Ein Beispiel für das komplexe Zusammenwirken von Genen und „Junk“-DNA ist die Neigung zur Fettleibigkeit. „Hier spielt die Regulation der Gene eine große Rolle“, erklärt Hans-Werner Mewes, Professor für Genomorientierte Bioinformatik an der TUM. „Deshalb ist es so schwer, Ursachen für Fehler innerhalb des Stoffwechsels nachzuvollziehen, auch wenn man schon durch genetische Populationsstudien einen Hinweis hat.“

Rasterfahndung im Genom

Er und seine Kollegen haben sich darauf spezialisiert, solche Daten mit bioinformatischen Verfahren – etwa mit neuronalen Netzen – und mit der Technologie des Maschinenlernens zu entschlüsseln und zu deuten. Durch die Analyse natürlich auftretender genetischer Variationen in den Proteinen des menschlichen Körpers wollen Mewes und Rost beispielsweise herausfinden, welche Mutationen für seltene Krankheiten verantwortlich sind. Das sind Erkrankungen, die, jede für sich genommen selten sind, aber in ihrer Summe etwa fünf Prozent der Bevölkerung betreffen.

Um krankmachende Genvarianten aufzuspüren, benötigt man meist die Gendaten tausender Menschen. © luchschens/ iStock.com

Solche Krankheiten können sehr früh im Leben auftauchen – oft schon vor der Geburt – und den Menschen sein ganzes Leben lang begleiten. „Mit klassischen Methoden sind sie fast unmöglich zu erkennen, meist braucht es fünf bis 20 Jahre bis zur klinischen Diagnose“, sagt Mewes. „Wenn jedoch der genetische Defekt gefunden ist, weiß man in 25 bis 40 Prozent der Fälle ganz genau, ob man gezielt therapeutische Maßnahmen ergreifen kann.“

Suche nach Schizophrenie-Genen

Ein aktuelles Beispiel aus der Forschung ist auch die Suche den genetischen Varianten, die mit Schizophrenie einhergehen. Diese psychische Erkrankung betrifft weltweit 0,5 bis ein Prozent der Bevölkerung. Zahlreiche Familienstudien belegen eine starke genetische Komponente, doch konnte bisher kein Katalog von Mutationen erstellt werden, die Schizophrenie verursachen.

„In der Fachwelt wird diskutiert, ob seltene genetische Variationen für das Auftreten von Schizophrenie verantwortlich sind“, sagt Mewes. „Die Aufklärung der kausalen Zusammenhänge ist wichtig für die frühzeitige Diagnose und Behandlung sowie für die Entwicklung neuer Therapien.“

Hilfreich auch für die Krebsforschung

Auch für die Krebsforschung sind Verfahren der Bioinformatik unentbehrlich. Mit ihnen kann man große Datenmengen durchsuchen und vergleichen. Allein mit mathematischen Methoden lassen sich so schon Hinweise auf gefährliche Mutationen finden – zunächst völlig unabhängig von der Ursachenforschung.

Außerdem kann man genetische Muster eines Krebspatienten mit denen vieler anderer in einer Datenbank vergleichen und herausfinden, wo die größten Übereinstimmungen sind. So kann man, ähnlich wie Amazon mit seinen Buchempfehlungen, Erkenntnisse gewinnen, ohne Annahmen über Wirkmechanismen machen zu müssen.

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TU München
Stand: 05.01.2018

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Inhalt des Dossiers

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