Fragt man die Atomenergie-Branche, ist die Sache ganz klar: Radioaktiver Müll kommt unter die Erde und damit ist das Problem gelöst. Im Gestein eingeschlossen sollen die Abfälle über Jahrtausende hinweg sicher sein – so heißt es. Tatsächlich gilt die unterirdische Lagerung von hochradioaktiven Abfällen bisher als die einzige machbare und wenigstens halbwegs sichere Lösung. Doch über das Wie und Wo einer solchen Endlagerung im Untergrund gehen die Ansichten teilweise weit auseinander.
Komplex und jenseits unseres Zeithorizonts
Einer der Gründe dafür: Die Bedingungen in einer unterirdischen Gesteinsformation werden durch ein komplexes Gefüge von Wechselwirkungen bestimmt. Neben der Geologie wirken chemische, physikalische und sogar biologische Einflüsse auf die Materialien ein, die in ein solches Endlager gebracht werden. Was an einem speziellen Standort zum Tragen kommt, kann daher oft erst vor Ort untersucht werden.
Ein weiteres Problem: Ein atomares Endlager muss über hunderttausende oder sogar Millionen von Jahren dicht halten. Welche Prozesse innerhalb dieser enormen Zeitspannen in einem Endlager ablaufen, lässt sich daher im Vorhinein nicht 1:1 erforschen oder simulieren. Bestenfalls können Wissenschaftler über Modelle und Laborexperimente versuchen, mögliche Reaktionen und Wechselwirkungen grob abzuschätzen und hochzurechnen.
Aber auch solche Forschungen bilden nur Teilaspekte der komplexen Wechselwirkung von radioaktivem Zerfall, chemischen Reaktionen und Veränderungen des Untergrunds ab – und dies nur in kurzen Zeitausschnitten. Ob irgendwann in ferner Zukunft nicht doch unerwartete und heute noch unbekannte Reaktionen und Probleme an einem Endlagerstandort auftreten, bleibt unberechenbar.
„Reichlich Fehler und Versagen“
Hinzu kommt, dass bisherige Versuche und Testanlagen nicht gerade durch eine lückenlose Erfolgsbilanz überzeugen – eher im Gegenteil. „Selbst die begrenzten Erfahrungen mit existierenden Atommülllagern liefern reichlich Beispiele für Fehler und Versagen“, sagt der Physiker M.V. Ramana von der Princeton University.
Ein solcher Fall ist die Waste Isolation Pilot Plant (WIPP) in den USA – eines von nur einer Handvoll Endlagern weltweit, in der mittelradioaktive Abfälle, darunter Transurane, eingelagert werden. Im Mai 2014 platzte in einer der Salzkavernen des WIPP ein Behälter mit Transuran-Abfällen auf, radioaktives Plutonium und Americium gelangten bis an die Erdoberfläche und kontaminierten Teile der Anlage und 21 Arbeiter.
Der Grund für diesen Unfall: menschliches Versagen und schlichte Schlamperei. Oder wie es die Untersuchungskommission formulierte: „Man hat zugelassen, dass die Sicherheitskultur in Teilen dieser Organisation nachließ.“ Wie sich herausstellte, hatten Arbeiter den Atommüllbehälter mit einem organischen statt einem anorganischen Granulat aufgefüllt – einer Art Katzenstreu, die austretende Flüssigkeit absorbieren soll. Reaktionen in diesem ungeeigneten Material führten zur Gasentwicklung und sprengten schließlich den Behälter.
„Wenn solche Fehler sich schon nach nur 15 Jahren des Betriebs einschleichen, wie soll das dann erst bei Anlagen werden, die über Jahrzehnte hinweg gebaut und befüllt werden“, sagt Ramana.
Geologie falsch eingeschätzt: Der Fall Asse
Ebenfalls fatal sind wissenschaftliche Fehler bei der Standortwahl, beispielsweise durch Fehleinschätzungen der geologischen Gegebenheiten. Ein Beispiel dafür ist die Schachtanlage Asse II bei Wolfenbüttel. Zwischen 1967 und 1978 wurden in diesem ehemaligen Salzbergwerk rund 126.000 Fässer mit schwach- und mittelradioaktiven Abfällen eingelagert – darunter auch mehrere Kilogramm Plutonium. Gutachter, Behörden und Betreiber waren sich auf Basis jahrelanger Tests und Untersuchungen sicher, dass dieser Atommüll für Jahrtausende sicher im Salzstock eingeschlossen bleiben würde.
Doch das erwies sich als fataler Irrtum: Der Salzstock ist instabil und undicht: Täglich strömen 12.000 Liter salzhaltiges Grundwasser in die Schachtanlage ein – das entspricht 50 Badewannen voll. Die Salzlauge hat das Material vieler Atommüllbehälter korrodieren lassen und dadurch Lecks verursacht. Aus einigen Lagerkammern tritt bereits radioaktiv kontaminierte Salzlauge aus. Gleichzeitig sind Teile der Anlage einsturzgefährdet.
Um eine Verseuchung des Untergrunds und Grundwassers zu verhindern, bleibt nun nichts anders übrig, als den Atommüll wieder zu bergen und anderweitig zu lagern. Die Kosten für diese Aktion betragen nach Schätzungen der Behörden vier bis sechs Millionen Euro. Bezahlen müssen dies die Steuerzahler, auch wenn gut 80 Prozent der eingelagerten Abfälle aus Kernkraftwerken der großen Stromkonzerne stammen.
Was aber bedeuten diese Erfahrungen für die laufende Suche nach einem Endlager? Welche Kriterien und Vorgaben gelten und wo gibt es noch offene Fragen?
Nadja Podbregar
Stand: 01.12.2017