Der Verlockung von Schokolade, Eis oder anderen Naschereien kann sich kaum jemand von uns entziehen. Auch süße Limonaden und Tees sind vor allem bei Kindern beliebt – es schmeckt ihnen einfach. Kein Wunder: Unser Hang zum Süßen ist tief in unserer Natur verankert.
Schon im Mutterleib gehört die Süße zu den ersten Aromen, die das Ungeborene schmecken kann. Enthält das Fruchtwasser viel Zucker, schluckt das Kind die süßliche Flüssigkeit deutlich eifriger als sonst, wie Ultraschallaufnahmen belegen. Während Neugeborene das Schmecken von Salz erst allmählich lernen, erkennen sie Süßes von Anfang an.
Warum Zucker glücklich macht
Diese angeborene Vorliebe für Süßes hat durchaus einen biologischen Sinn: „Süß signalisiert uns: Dieses Lebensmittel enthält wertvolle Kalorien“, erklärt Maik Behrens vom Deutschen Institut für Ernährungsforschung. Für unsere Jäger-und-Sammler-Vorfahren war dies eine Information, die über ihr Überleben entscheiden konnte. War die Jagd fehlgeschlagen und die Nahrung knapp, lieferten ihnen Honig, Beeren und andere Früchte ausreichend Energie, um die harten Zeiten zu überstehen.
Weil wir das Erbe dieser Vorgeschichte in uns tragen, ist unser Gehirn bis heute auf „süß“ programmiert. Essen wir etwas Zuckerhaltiges, dann ruft dies ein unwillkürliches Wohlgefühl hervor. Bestimmte Areale im Gehirn werden durch den Zucker aktiviert und signalisieren uns: „Das tut mir gut – mehr davon!“. Hirnscans zeigen, dass dabei vor allem Neuronen in der Insula und Amygdala feuern. Beides sind Hirnbereiche, die mit Wahrnehmung, Emotionen, Geschmack und dem Belohnungssystem verknüpft sind.
Ähnlich wie eine Sucht
Zucker kann sogar ähnliche Reaktionen im Gehirn hervorrufen wie eine Sucht: Nach einer zuckerreichen Mahlzeit steigt unser Blutzuckerspiegel und der Körper setzt Insulin frei, um ihn zu verarbeiten. Das Insulin gelangt auch ins Gehirn und dient dort als Sättigungssignal. Gleichzeitig aber löst es eine Ausschüttung des Botenstoffs Dopamin aus. Dieses „Glückshormon“ stimuliert unser Belohnungssystem ähnlich wie Rauschmittel, Alkohol oder andere Drogen.
Wie suchtähnlich die Lust auf Zucker sein kann, demonstriert ein Experiment mit Ratten: Wurde diesen nach einiger der Zeit der Gewöhnung das Zuckerwasser entzogen, reagierten sie mit deutlichen Entzugserscheinungen: Ihre Zähne klapperten und statt wie sonst neugierig ihre Umgebung zu erkunden, wurden sie ängstlich und zogen sich zurück.
Den Grund dafür fanden die Forscher im Gehirn der Ratten: Durch die Gewöhnung an den Zucker und die damit verbundene Dopamin-Ausschüttung war der Zahl der Rezeptoren für diesen Botenstoff gesunken. Blieb dann der Zuckernachschub aus, litten die Tiere unter mangelnder Stimulierung ihres Belohnungssystems – wie bei einem Drogensüchtigen. „Die Vorliebe für Süßigkeiten hat viel mit der Vorliebe für Drogen zu tun, nur das Ausmaß dieses Problems ist bei Drogenabhängigen in aller Regel viel höher“, erklärt Falk Kiefer von der Universität Heidelberg.
Naschlust nicht bei allen gleich
Aber warum sind einige Menschen echte Naschkatzen oder sogar Schokoholics, während andere problemlos auf Süßigkeiten verzichten können? Wie eine Studie mit Zwillingen ergeben hat, ist zumindest ein Teil unserer Geschmacksvorlieben genetisch bedingt: Ob wir einen „süßen Zahn“ haben oder nicht, hängt zu immerhin rund 30 Prozent von unserer Veranlagung ab.
Auffallende Unterschiede gibt es jedoch auch bei übergewichtigen Kindern: In ihrem Gehirn reagiert das Belohnungssystem oft deutlich stärker auf Zucker als bei normalgewichtigen Altersgenossen, wie Hirnscans zeigen. Ob diese stärkere Reaktion auf Süßes erst durch einen hohen Zuckerkonsum in der Kindheit entsteht und damit ein Effekt der Gewöhnung ist, oder ob die Kinder von Natur aus stärker auf Zucker reagieren, ist allerdings noch nicht bekannt.
In jedem Fall scheint klar: Die Lust auf Süßes ist ein Urinstinkt – egal wie stark er individuell ausgeprägt ist. Aber während unsere Vorfahren noch mühsam nach süßen Leckereien suchen mussten, leben wir im Zucker-Paradies: Ob Schokolade, Bonbons, Fruchtjoghurts oder Fastfood – ein Griff ins Supermarktregal reicht und wir bekommen mehr Zucker, als es sich die Steinzeitmenschen jemals träumen ließen.
Nadja Podbregar
Stand: 06.10.2017