Wie funktioniert eine Kraftwirkung überhaupt? Wie „spüren“ zwei Magneten ihre gegenseitige Anziehung oder Abstoßung und was sagt dem Ball, dass er wieder zur Erde fallen soll? Lange Zeit fanden Wissenschaftler darauf keine Antwort. Sie konnten zwar die Wirkung der Kräfte beobachten und messen, ihre wahre Natur blieb ihnen jedoch verborgen.
Teilchen als Vermittler der Kräfte
Heute weiß man, dass die Grundkräfte von Trägerteilchen vermittelt werden, den sogenannten Eichbosonen. Ähnlich wie ein Ball beim Fangen einen Teil seines Impulses und seiner Energie an den Fänger überträgt, wirken diese Kraftteilchen auf die Teilchen der Materie. Theoretisch lässt sich jede Grundkraft auf einen Austausch von Eichbosonen zwischen Materieteilchen zurückführen.
Im Standardmodell der Teilchenphysik bilden die Bosonen eine ganz eigene Klasse, denn sie unterscheiden sich in einigen entscheidenden Merkmalen von den „normalen“ Teilchen, den Fermionen, aus denen unsere Materie besteht. So lässt sich ihr Eigendrehimpuls immer in ganzen Zahlen ausdrücken: Ein Photon hat beispielsweise einen Spin von eins. Bei Quarks, Elektronen und anderen Materiebausteinen ist der Spin dagegen immer halbzahlig.
Einzelgänger und gesellige Typen
Dieser auf den ersten Blick rein formale Unterschied hat gravierende Folgen für das Verhalten der Teilchen. Denn durch ihn werden Fermionen zu Einzelgängern: Dort, wo ein Quark oder Elektron ist, kann zur gleichen Zeit kein zweites mit dem gleichen Spin sein. Diese Teilchen müssen sich immer in einem ihrer Quantenmerkmale unterscheiden. Das besagt das sogenannte Pauli-Ausschlussprinzip.
Erst diese Grundeigenschaft sorgt beispielsweise dafür, dass die Elemente chemische Reaktionen miteinander eingehen: Weil ihre Elektronen nicht alle im günstigen Energiezustand sein können, sind einige zu ungünstigen Außenpositionen verdammt. Um dies auszugleichen, streben die meisten Elemente danach, Elektronen mit anderen Elementen auszutauschen – chemische Bindungen sind die Folge.
Anders die Bosonen: Sie sind eher geselliger Natur und können sich problemlos an einem Ort und zur gleichen Zeit aufhalten. Physikalisch ausgedrückt: das Pauli-Ausschlussprinzip gilt für sie nicht. Dadurch kann man beispielsweise in einem Laser große Mengen von Photonen mit gleichen Merkmalen erzeugen. Gleichzeitig befähigt erst diese „Geselligkeit“ die Eichbosonen dazu, als Überträgerteilchen der Grundkräfte zu wirken.
Wer macht was?
Die Art der Bosonen bestimmt, auf welche Teilchen eine Kraft wirkt. Ihre Reichweite entscheidet darüber, in welchen Distanzen sich die Wechselwirkung manifestiert. Identifiziert und nachgewiesen sind heute die Trägerteilchen von drei der vier Grundkräfte: Das Photon ist das Eichboson der elektromagnetischen Wechselwirkung. Die Gluonen wirken in Teilchen wie den Protonen und Neutronen als der Klebstoff für die Quarks und damit als Träger für die starke Kernkraft.
Bei der schwachen Kernkraft ist das Ganze ein wenig komplizierter: Sie wird von gleich drei verschiedenen Bosonenvarianten vermittelt: den W+, W- und Z-Bosonen. Und noch etwas ist seltsam: Nach gängiger Theorie dürften die Eichbosonen eigentlich keine Masse besitzen – bei Gluonen und Photonen ist das auch der Fall. Aber die Bosonen der schwachen Kernkraft haben eine Masse – eine ziemlich große sogar, wie Messungen im Large Hadron Collider (LHC) belegen.
Rettung durch das Higgs
Wie ist das zu erklären? Hier kommen das Higgs-Boson und der mit ihm verknüpfte Higgs-Mechanismus ins Spiel. Sein Einfluss verleiht nicht nur Materieteilchen ihre Masse, sondern sorgt auch dafür, dass die Eichbosonen der schwachen Kernkraft mit dem Higgsfeld wechselwirken und so eine Masse bekommen. Ohne diesen Effekt müssten die W- und Z-Bosonen masselos sein.
Eine Grundkraft allerdings fällt komplett aus dem Rahmen – da hilft auch kein Higgs: die Gravitation.
Nadja Podbregar
Stand: 28.07.2017