Aufschlussreich und manchmal überraschend sind auch die Erfahrungen, die die Aquanauten im Unterwasserhabitat machen. Denn hier leben und arbeiten sie nicht nur ähnlich eng und isoliert zusammen wie in einer Raumkapsel, auch die physikalischen Bedingungen sind anders als an der Oberfläche.
Wenn die Technik verrückt spielt
Ein Faktor ist der Druck: Damit die Aquanauten nicht bei jedem Tauchgang zeitraubende Pausen zur Kompression und Dekompression einlegen müssen, leben sie gesamte Zeit in erhöhtem Luftdruck. Im Aquarius-Habitat herrscht der gleiche Druck wie umgebenden Wasser – und der ist in 20 Metern Wassertiefe immerhin schon doppelt so hoch wie der normale Luftdruck. Das Blut der Aquanauten hat sich nach rund 20 Stunden an den veränderten Gasdruck in dieser Meerestiefe angepasst.
Für technische Geräte allerdings gilt dies nicht – mit teilweise überraschenden Folgen. So stellten die ersten NEEMO-Aquanauten fest, dass die Festplatten ihrer Computer im Aquarius-Habitat gleich reihenweise versagten. Der Grund: Unter dem erhöhten Druck hoben die schnell rotierenden Festplatten ab und verkanteten sich im Laufwerksgehäuse. Dieses Problem ist inzwischen behoben: Moderne Rechner laufen mit Solid State Festplatten, die keine rotierenden Teile mehr besitzen.
Auch bei den Touchscreens der Computer und Steuergeräte gab es Schwierigkeiten: „Diese Interfaces sind darauf ausgelegt, bei Normalruck zu arbeiten“, erklärt die NASA. „Wenn sich der Luftdruck erhöht, hat dies den gleichen Effekt, als wenn man seine Hand aufs Pad legt und alle Buttons auf einmal klickt.“ Dagegen entwickelten die Aquanauten eine ganz pragmatische Lösung: Sie durchstachen mit einer Injektionsnadel die Touchscreen-Oberfläche und sorgten so für Druckausgleich zwischen außen und innen.
Druck auch für die Psyche
Unter erhöhtem Druck stehen die Teilnehmer der NEEMO-Missionen allerdings auch in einem ganz anderen Sinne – mental. „Das Leben im Habitat verursacht in bestimmter Hinsicht psychologischen Stress, der die kognitiven Leistungen und unser psychologisches Wohlbefinden beeinträchtigen kann“, erklärt Aquanaut Dominic D’Agostino.
Weil dies bei Raumfahrtmissionen auch der Fall ist, dient NEEMO dazu, die möglichen Folgen dieses Stresses genauer zu erforschen. Die Aquanauten absolvieren dafür regelmäßig eine ganze Batterie psychologischer Tests. Diese prüfen ihre Reaktionsschnelligkeit, Aufmerksamkeit und Wahrnehmung, aber auch Gedächtnis und Stimmungslage.
Für D’Agostino könnten einige dieser Tests besonders schwer werden. Denn er dient gleichzeitig als Versuchskaninchen für eine spezielle Art der Astronauten-Nahrung. Diese ist so zusammengesetzt, dass sie dem Körper keinen Zucker und so gut wie keine Kohlenhydrate liefert. Dadurch ist der Organismus gezwungen, auf Fettverbrennung umzustellen, die sogenannte Ketose.
Wie sich dies auf die kognitiven und körperlichen Leistungen des Aquanauten auswirkt, soll NEEMO-22 zeigen. Weil die anderen Teammitglieder die gleichen Aufgaben wie D’Agostino erfüllen, aber normale Nahrung bekommen, können Forscher die Diät-Effekte direkt vergleichen.
Nadja Podbregar
Stand: 30.06.2017