Ob Literatur, Wissenschaft oder kaufmännische Buchhaltung – viele Aufzeichnungen der alten Ägypter, Babylonier und Hethiter sind selbst nach Jahrtausenden noch erhalten und lesbar. Kein Wunder: Diese Kulturen nutzten vorwiegend haltbare Materialien wie Ton für ihre Niederschriften. Einmal gebrannt, blieben die in das weiche Material geritzten Zeichen dauerhaft konserviert.
In unserer schnelllebigen Zeit erscheint diese Technik eher wenig effektiv und viel zu aufwändig – zumindest für Dokumente des täglichen Gebrauchs. Doch für die Langzeitarchivierung sieht dies schon anders aus. Nach Ansicht der Initiatoren des Projekts „Memory of Mankind“ könnte eine moderne Version der alten Tontafeln sogar die ideale Methode sein, um Informationen aus unserer Zeit für die Nachwelt zu konservieren.
Keramik als Mikrofilm
Statt Ton dient beim „Memory of Mankind“-Archiv eine moderne Keramik als Trägermaterial. Sie soll Säuren und Laugen und sogar Temperaturen von bis zu 1.000 Grad problemlos standhalten können. Auch Druck und elektromagnetische Strahlung können der Keramik nichts anhaben, heißt es auf der Projektseite. Dadurch sollen die Keramiktafeln hunderttausend Jahre halten.
Für die Speicherung werden die analogen Text- und Bildinformationen in das Keramikmaterial eingeprägt – ähnlich wie bei einem Mikrofilm. Je nach Datentyp und -menge erfolgt die Übertragung entweder durch ein Farbdruckverfahren, das durch Hitze in die Keramik gebrannt wird oder aber durch Eingravieren in die dünnen Keramikplatten. Auf eine Tafel von 20 mal 20 Zentimetern passen nach Angaben des Projekts fünf Millionen Zeichen – dies entspricht fünf Büchern mit je 400 Seiten.
Ein Salzstock und eine „Schatzkarte“
Ist der „keramische Mikrofilm“ mit Daten gefüllt, wird die Tafel in ein unterirdisches Lager gebracht. Vorgesehen ist dafür eine alte Salzmine im österreichischen Hallstatt. Im Salzstock eingeschlossen sind die Keramiktafeln vor Erosion und Umwelteinflüssen der Erdoberfläche geschützt. Zudem liegt die ehemalige Mine im Dachsteinmassiv und damit weit oberhalb des Meeresspiegels. Künftige Meeresspiegelanstiege können ihr daher nichts anhaben.
Damit das Memory of Mankind-Archiv von unseren Nachfahren wiedergefunden wird, haben sich die Initiatoren ein raffiniertes System ausgedacht: Jeder, der Informationen in das Archiv einlagert, erhält eine kleine Keramikscheibe – eine Art Schatzkarte. Je mehr dieser „Tokens“ weltweit verteilt sind, desto höher ist die Chance, dass unsere Nachfahren einige davon finden – und der Sache nachgehen.
Auf dem „Token“ ist eine vereinfachte Europakarte eingeprägt, die die Lage der Salzmine relativ zu markanten Küstenlinien zeigt. Auf der Rückseite ist der Umriss des Hallstätter Sees und die Lage des Mineneingangs eingraviert. Ein stilisierter Salzkristall gibt zudem Informationen über das Gestein, in dem das Archiv liegt. Weil die Salzformation ständig in Bewegung ist, werden die heutigen Eingänge in die Mine schon in ein bis zwei Generationen vom Salz zugesetzt sein. Damit zukünftige Besucher dennoch den Weg in die Archivkammern finden, werden im Zugangsstollen alle zwei Meter „Wegweiser“-Tafeln aus Keramik hinterlassen.
Zeitungsartikel, Blogs, Bücher…
Gedacht ist das Memory of Mankind-Archiv nicht als Archiv für das vergangene Kulturerbe, sondern vor allem für Informationen über die Gegenwart. „Der Sinn von MOM ist es, ein möglichst umfassendes, globales und objektives Bild unserer Zeit wiederzugeben“, heißt es dazu auf der Projektseite.
So sollen beispielsweise Leitartikel und ganze Ausgaben renommierter Zeitungen und Magazine regelmäßig gespeichert werden, aber auch Inhalte aus Blogs und wissenschaftliche Beiträge von Universitäten und Museen. Auch eine Kopie der mit der NASA-Sonde New Horizons zum Pluto und darüber hinaus geschickten Botschaften von der Erde soll Teil des Archivs werden. Ebenfalls verewigen wollen die Archiv-Macher die tausend wichtigsten Bücher unserer Zeit – nach welchen Kriterien sie diese Bücher auswählen, verraten sie allerdings nicht.
…aber auch Hinweise auf Atommüll-Lager
Ganz praktischen Nutzen für unsere Nachfahren sollen im Archiv gespeicherte Informationen der Atomindustrie haben: Nach dem Willen der Archivmacher soll auf einigen Keramiktafeln zu lesen sein, wo auf der Welt nukleare Abfälle liegen. „Wir müssen zukünftige Erdbewohner informieren, wo sich diese Materialien befinden“, erklären die MOM-Initiatoren. Dadurch könnte ein unfreiwilliges Freisetzen des Atommülls verhindert und eine möglicherweise bis dahin erfundene Entsorgung ermöglicht werden.
Einen Platz in diesem Archiv kann sich aber auch jeder Privatmensch sichern – gegen Geld versteht sich: Für knapp 300,- Euro bekommt man eine Keramiktafel für die eigenen Fotos, Texte oder sonstigen Mementos.
Nadja Podbregar