Unter anderen dank ihrer überragenden Intelligenz haben sich Rabenvögel auf allen Kontinenten mit Ausnahme der Antarktis ausgebreitet. Zum Menschen und unseren Städten haben sie über die Jahre ein ganz besonderes Verhältnis entwickelt. Da Krähen Allesfresser sind, fühlen sie sich unseren Siedlungen sichtlich wohl und haben den Lebensraum „Großstadtdschungel“ längst für sich entdeckt. Eine nicht immer einfache Koexistenz.
Drahtbügel im Krähennest
Ein Beispiel für die Tücken der Krähennachbarschaft zeigt sich in der japanischen Hauptstadt Tokio. Dort haben die schwarzen Vögel längst die Funktion von Verkehrsampeln durchschaut: Sie werfen Walnüsse vor fahrende Autos und sammeln die geknackten Leckereien nur bei der Fußgänger-Grünphase ein.
Die in Tokio ansässigen Krähen haben aber auch ein neues Nestbaumaterial für sich entdeckt. In Japan hängen die meisten Menschen ihre Wäsche zum Trocknen auf Drahtbügeln auf. Diese Bügel aus Metalldraht passen den Krähen perfekt in den Schnabel. Sie haben genau die geeignete Dicke, um daraus Nester zurechtzubiegen. Der Diebstahl von Kleiderbügeln allein ist jedoch nicht das Hauptproblem.
Denn das droht erst, wenn ein Krähenpaar ihr Drahtnest an einem Strommast aufbaut und so einen Kurzschluss provoziert. Damit haben die Vögel schon mehrfach für großflächige Stromausfälle gesorgt, sodass Tokio bereits ein „Sondereinsatzkommando“ aufgestellt hat. Die Eingreiftruppe fährt täglich auf Patrouille, um derartige Nistversuche rechtzeitig zu entdecken und zu unterbinden.
Gemeinsam gegen die Krächzer
Auch in Deutschland gibt es immer öfter Ärger mit den Krähen. In Meitingen bei Augsburg ist der Schlosspark nicht nur vom Kot der Vögel verunstaltet, das laute Krächzen hat die meisten Ruhe suchenden Menschen aus der ehemaligen Erholungsoase vertrieben. Und in der nahe gelegenen Schule kann während der Nistzeit nur bei geschlossenem Fenster unterrichtet werden, so laut ist das Gekrächze der Rabenvögel – die trotz ihrer heiseren Stimme zu den Singvögeln gehören.
In Meitingen hat man wie in vielen anderen Städten den Kampf gegen die unliebsamen Parkbesucher aufgenommen. Täglich lässt Falkner Leo Mandlsperger seine Falken durch den Park gleiten, damit die Krähen ihre Nester nicht dort, sondern in einem abgelegenen Waldstück am Stadtrand errichten. Nur wenn er täglich im Park auftaucht, hat die Strategie Erfolg. Schon wenn die Krähen nur das Auto sehen, wissen sie Bescheid, dass Unheil droht.
Gemeinsam leben und lernen
Das Umsiedeln von Krähenschwärmen gleicht einem Kampf gegen Windmühlen. Einfachere Abschreckmaßnahmen wie das Aufhängen von Heliumballons in den Bäumen haben nur kurzzeitige Wirkung auf die schlauen Vögel. Wenn sie merken, dass ihnen keine Gefahr droht, lassen sie sich durch derartige Vogelscheuchen nicht stören.
Das haben auch Landwirte bemerkt, die ihre Aussaat lange Zeit verzweifelt mit scharfer Munition und Gift gegen hungrige Saatkrähen verteidigt haben. Vor etwa 70 Jahren waren die Krähen in Deutschland deshalb nahezu ausgerottet. Mittlerweile stehen die Vögel wie alle Singvögel unter Vollschutz und haben sich wieder gut erholt.
Um geeignete Mittel und Wege zum Zusammenleben von Rabe und Mensch zu finden, müssen wir lernen, die Vögel richtig zu verstehen. Die letzten Jahre der Verhaltensforschung mit Rabenvögeln haben deutlich gemacht, dass wir hier noch viel nachzuholen haben. Sicher hält die Zukunft noch einige spannende Entdeckungen über die Fähigkeiten der „Schimpansen der Lüfte“ bereit.
Christian Lüttmann
Stand: 02.06.2017