Homers Heldensagen vom trojanischen Krieg beschäftigen die Menschen seit Jahrhunderten – auch zu Schliemanns Lebzeiten sorgen die Werke des griechischen Dichters für Faszination und Rätselraten: Was ist dran an den Epen um den mykenischen König Agamemnon, den listenreichen Odysseus und vor allem: der geheimnisvollen Stadt Troja? Während die meisten gelehrten Zeitgenossen Schliemanns die Schilderungen in der Ilias und der Odyssee als reine Fantasien abtun, halten einige wenige Wissenschaftler einen wahren Kern der Geschichten durchaus für möglich.
Wo lag die antike Stadt?
Autoritäten wie der Berliner Archäologe Ernst Curtis oder der preußische Generalfeldmarschall Helmuth von Moltke forschen nahe dem türkischen Ort Bunarbaschi nach Troja. Als Inspiration dient ihnen ein 1716 erschienener Band der Ilias-Übersetzung des englischen Dichters Alexander Pope – einem Buch, dem eine Rekonstruktion der Ansicht des alten Trojas beigefügt ist.
Aus der Vogelperspektive sieht der Betrachter darauf vom Hellespont aus das Schiffslager der Achäer, dahinter das von den Flüssen Skamander und Simios eingerahmte Schlachtfeld und vor den Bergen des Idagebirges die mächtigen Mauern Trojas. Dieses Bild prägt für lange Zeit die Vorstellung vieler Trojafahnder. Die zu der Rekonstruktion passende Entsprechung in der Realität will man schließlich in einer auffälligen Anhöhe in der Troas-Ebene im Nordwesten des heutigen Anatoliens gefunden haben. Die dortige Suche nach einem historischen Troja bleibt jedoch erfolglos.
Schliemanns Kindheitstraum
Schliemann klammert sich trotzdem an die Schriften seines geliebten Dichters. Er ist überzeugt, durch die geografischen Angaben in den Epen die längst in Vergessenheit geratene Stadt lokalisieren zu können. Schon als kleiner Junge, so behauptet er selbst zumindest später, habe ihn die homerische Lyrik in ihren Bann gezogen.
Mit acht Jahren entdeckt er demnach das Bild des brennenden Trojas in einer „Weltgeschichte für Kinder“ und ist fasziniert. Bereits damals keimt in ihm angeblich der Gedanke auf, eines Tages nach den Spuren der von Homer beschriebenen Stadt zu graben.
Als mehrfacher Millionär, mit vielfältigen Fremdsprachenkenntnissen, seinem Wissen über die Antike sowie einem Talent für geschicktes Netzwerken ausgestattet hat Schliemann im Alter von 46 Jahren die wesentlichen Mittel beisammen, um seine Suche zu beginnen. Mit den antiken Dichtungen und einem Spaten in der Hand macht sich der Quereinsteiger ans Werk.
Enttäuschender Start und neue Hoffnung
Im August 1868 gräbt Schliemann zum ersten Mal in der Troas-Ebene nach dem sagenumwobenen Troja. Doch offenbar wählt er den falschen Ort. Er und seine Arbeiter werden nicht fündig. Nach einigen Tagen muss sich der Amateurarchäologe eingestehen, „dass hier niemals eine Stadt existiert hat“. Enttäuscht will er sich auf die Heimreise machen. Doch er verpasst sein Schiff – ein Glück, wie sich bald herausstellt.
Denn zufällig trifft Schliemann auf den ebenfalls von der Archäologie begeisterten Engländer Frank Calvert, in dessen Haus er übernachtet. Der Diplomat gibt seinem Gast einen entscheidenden Hinweis. Er glaubt: Die Ruinen des homerischen Trojas müssen sich unter dem Hügel von Hisarlik verbergen.
Diese Theorie ist zwar nicht neu: Sie geht ursprünglich auf den schottischen Hobbyforscher und Zeitungsverleger Charles MacLaren zurück, der Hisarlik bereits in einem Essay aus dem Jahr 1861 als möglichen Standort Trojas identifiziert. Seine Ansichten haben bisher jedoch kaum Beachtung gefunden. Schliemann aber lässt sich von der Begeisterung Calverts anstecken – und hat nun ein neues Grabungsziel.
Daniela Albat