Der Einfluss unserer Darmflora erstreckt sich auch auf Bereiche, die auf den ersten Blick wenig mit Verdauung und Co zu tun haben – aber durchaus mit unserem Gehirn und dessen Gesundheit. Denn eine gesunde Darmflora schützt unser Denkorgan vor Entzündungen und schädlichem Zellmüll und scheint sogar das Wachstum neuer Gehirnzellen anzuregen, wie Forscher erst vor kurzem herausfanden.
Keine Darmflora – kaputte Fresszellen
Die erste dieser Darm-Hirn-Verbindungen zeigte sich im Jahr 2015, als Daniel Erny vom Universitätsklinikum Freiburg und seine Kollegen einen auf den ersten Blick eher unwahrscheinlichen Zusammenhang untersuchten: Sie wollten wissen, welche Rolle die Darmflora für das Wohlergehen der Mikroglia im Gehirn spielt. Diese speziellen Fresszellen bilden eine Art Aufräumtruppe des Gehirns, die abgestorbene und fehlgebildete Nervenzellen entsorgt, aber auch Proteinablagerungen und eingedrungene Keime beseitigt.
Zogen die Forscher Mäuse keimfrei und ohne eigene Darmflora auf, bemerkten sie Überraschendes: Bei diesen Tieren blieben die Mikroglia des Gehirns verkümmert und unreif. Ähnliches beobachteten sie bei normalen Mäusen nach einer starken Antibiotikatherapie – auch bei ihnen war die neuronale Aufräumtruppe außer Gefecht gesetzt. Das änderte sich erst wieder, als die Mäuse über Kontakt mit Artgenossen ihre Darmflora wieder regenerierten.
Fettsäuren als Botenstoffe
Aber wie können Bakterien im Darm das Wohlergehen von Zellen im Gehirn – jenseits der Blut-Hirn-Schranke beeinflussen? Wie die Forscher herausfanden, spielen dafür kurzkettige Fettsäuren eine entscheidende Rolle. Sie werden von den Darmbakterien bei der Verdauung von ballaststoffreicher Nahrung abgegeben und gelangen über das Blut ins Gehirn. Auf welche Weise sie dort den Mikrogliazellen zur Reifung verhelfen, ist jedoch bislang unklar.
Über die kurzkettigen Fettsäuren übt unsere Darmflora aber noch weitere Einflüsse aus: Sie stecken auch hinter dem asthmaschützenden Effekt ballaststoffreicher Ernährung. Über das Blut gelangen diese bakteriellen Fettsäuren bis ins Knochenmark und beeinflussen dort die Reifung bestimmter Immunzellen, der sogenannten dendritischen Zellen. Diese Abwehrhelfer wandern dann unter anderem in die Lunge und hemmen dort die für Asthma typische übersteigerte Immunreaktion.
Weniger Neuronen nach Antibiotika
Immunzellen könnten auch der Grund sein, warum sogar die Nervenzellen des Gehirns weniger stark wachsen, wenn die Darmflora leidet. Wird bei Mäusen das Mikrobiom mit Antibiotika ausgerottet, bilden sie bis zu 40 Prozent weniger neue Neuronen im Hippocampus, dem für das Gedächtnis wichtigen Hirnareal, wie Forscher Anfang 2016 berichteten. Als Folge schnitten die Mäuse in Erinnerungstests deutlich schlechter ab.
Bedeutet dies nun, dass zu viel Antibiotika dumm machen und eine verarmte Darmflora vielleicht sogar unsere Hirngesundheit langfristig beinträchtigen kann? Ganz so schlimm ist es wohl nicht, beruhigen die Wissenschaftler: „Übertragen auf den Menschen bedeuten die Ergebnisse nicht, dass alle Antibiotika die Gehirnfunktion stören, denn die von uns verwendete Kombination von Medikamenten war extrem stark“, sagt Susanne Wolf vom Max-Delbrück-Centrum für Molekulare Medizin in Berlin. „Möglicherweise sind aber ähnliche Effekte bei Therapien mit Antibiotika über einen langen Zeitraum zu erwarten.“
Nadja Podbregar
Stand: 17.06.2016