Je mehr Forscher die alten Rezepte der Alchemisten erforschen und entschlüsseln, desto mehr Überraschungen treten zutage. Denn einige vermeintlich falsche oder überholte Experimente entpuppen sich beim Nachmachen als durchaus funktionierend oder sogar nützlich – wenn man einige entscheidende Kleinigkeiten berücksichtigt.
Wundersame Vermehrung
Einen solchen Aha-Effekt hat der Chemiker Lawrence Principe von der Johns Hopkins University vor einigen Jahren erlebt. Auf der Suche nach einem echten Klassiker der Alchemie hatte er Fragmente von Rezepten und Laborbüchern aus dem 17. Jahrhundert studiert, in denen es um den geheimnisvollen Baum der Philosophen ging – eine Art Vorstufe zum Stein der Weisen.
Dieser Baum sollte nach damaligem Glauben eine geradezu wunderbare Goldvermehrung bewirken. Paracelsus schrieb beispielsweise: „Gold kann in einem Glas wie ein Baum wachsen“. Als „Arbor Dianae“ sind solche Metallbäume auf Basis von Silber schon länger bekannt. Sie entstehen, wenn beispielsweise Silber aus einer Silbernitratlösung unter Zugabe von Quecksilber auskristallisiert.
Ein Baum aus Gold
Doch das Ganze mit Gold? Klingt unmöglich – so dachte auch Principe zunächst. Dennoch folgte er dem Rezept und mischte ein speziell vorbereitetes Quecksilber mit einer kleinen Menge Gold, bis das Ganze zu einem kleinen butterartigen Klümpchen am Grund des Kolbens wurde. Getreu den Anweisungen der Alchemisten versiegelte er den Kolben und stellte ihn in angewärmten, feuchten Sand. Tagelang passierte nicht viel.
Doch eines Morgens erlebte der Chemiker eine Überraschung: Im Kolben war tatsächlich ein baumartiges, goldglänzendes Gebilde herangewachsen. Die Metallmischung war auskristallisiert und hatte diesen beeindruckenden Baum aus Kristallen entstehen lassen. Eine echte Goldvermehrung war natürlich nicht im Spiel, wie moderne Analysemethoden belegen. Doch für die Alchemisten der Renaissance muss dieses Phänomen wie eine wundersame Vervielfältigung des begehrten Edelmetalls erschienen sein.
Glas aus Antimon
In einem anderen Fall schien Principe bei seinem Versuch, ein altes Alchemisten-Rezept umzusetzen, zunächst völlig zu scheitern. Ziel war es, Antimonglas herzustellen. Dieses gelbliche, glasartig amorphe „Vitrium antimonii“ galt in der Renaissance als Medizin und als Hilfsmittel, um bestimmte Arzneien herzustellen. „Die Alchemisten schrieben, dass es ziemlich einfach herzustellen sei“, berichtet der Forscher. „Aber ich kam dem Ziel nicht einmal nahe.“
Dem Rezept nach sollte man gemahlenes Stibnit (Sb2S3) mit Antimontrioxid vermischen und dann diese Mischung auf mehr als 1.000 Grad in einem Tiegel erhitzen. Es entsteht eine Schmelze, die beim Erstarren zunächst rötliches, bei längerem Erhitzen gelbliches amorphes Glas bildet. So die Theorie.
Doch statt des transparenten, gelblichen Glases fand sich am Boden von Principes Tiegel nur ein eher traurig aussehender grauer Klumpen. Aber warum? Die Lösung fand sich erst, als der Forscher die Herkunft des Rezept-Manuskripts berücksichtigte. Denn dieses stammte aus Osteuropa – und dort ist der Ausgangsstoff für das Antimonglas, das Mineral Stibnit, typischerweise mit einigen Prozent Silikat verunreinigt. Und siehe da: als Principe dem hochreinen Stibnit ein wenig Silikat zusetzte, bildete sich tatsächlich Antimon-Glas.
Nadja Podbregar
Stand: 20.05.2016