Heute ist der zerstörte Reaktorblock 4 von Tschernobyl von außen nicht mehr zu sehen: Innerhalb weniger Monate nach dem Atomunfall wurde die strahlende Ruine in einen wuchtigen Sarkophag aus Stahl und Beton eingeschlossen. 300.000 Arbeiter setzten sich bei diesen Arbeiten und beim Wegräumen kontaminierter Trümmer teilweise enormen Strahlendosen aus.
40 Prozent unbekannt
Aber die Gefahr ist damit noch lange nicht gebannt. Denn noch immer lagern mindestens 150 Tonnen des hochradioaktiven Kernbrennstoffs, verschmolzen mit Graphit und Beton, als erstarrte Masse am Grund des eingeschlossenen Reaktors. Weitere 30 Tonnen sind möglicherweise in der Ruine verteilt – wo weiß niemand.
Denn wegen der hohen Strahlung und der umherliegenden Trümmer sind nur rund 60 Prozent des Reaktors untersucht. Der Rest des ehemaligen Reaktorgebäudes ist eine Terra inkognita. Sie ist weder mit Robotern noch über andere technische Hilfsmittel zugänglich oder einsehbar. Was sich dort tut oder wie der Zustand der Ruine in diesen Gebäudeteilen ist, bleibt unbekannt.
„Tatsache ist, dass es noch riesige Mengen radioaktiver Stoffe dort gibt“, heißt es in einer aktuellen Greenpeace-Studie zum Thema. „Tatsache ist auch, dass die Probleme mit den Überresten des havarierten Reaktors dadurch verschärft werden, dass die Situation im Inneren nicht exakt bekannt ist.“
Strahlender Staub
Und auch der Sarkophag ist alles andere als dicht und sicher. Durch die zahlreichen Löcher und Ritzen in dem damals hastig errichteten Bauwerk dringt nach wie vor Radioaktivität nach außen. Messungen zufolge liegen die Werte, beispielweise für Cäsium-137, zwar unter den zulässigen Jahresgrenzwerten, es gibt aber immer wieder kurzzeitige, weit darüber liegende Belastungsspitzen.
Experten schätzen zudem, dass sich im Inneren des Sarkophags noch mindestens 1,5 Tonnen radioaktiven Staubs befinden – Tendenz zunehmend. Denn durch Zersetzungsprozesse an der Oberfläche der erstarrten Kernschmelze entsteht kontinuierlich neuer Staub. Seit 1990 versucht man, die umherwirbeln Partikel durch Besprühen mit Polymerlösungen zu binden. Doch dieses Staub-Unterdrückungssystem wirkt nur in Teilen.
Nadja Podbregar
Stand: 22.04.2016