Energie

Hochradioaktive Brühe

Die Tschernobyl-Ruine hat ein Wasserproblem

Noch gravierender aber ist das Wasserproblem: Selbst nach umfangreichen Stabilisierungs- und Ausbesserungsarbeiten ist der Sarkophag von Tschernobyl schlicht undicht. Jedes Jahr dringen durch Regen mehr als 2.000 Kubikmeter Wasser in die Ruine ein. Dazu kommt fast noch einmal so viel Wasser, das sich im Inneren durch Kondensation bildet.

Trümmer in der teilweise eingestürzten Maschinenhalle von Reaktor 4. © Norbert Molitor, IAEA/ CC-by-sa 2.0

Stabilität gefährdet

Diese Feuchtigkeit greift die Bausubstanz des Sarkophags an. Seine ohnehin nur auf 20 bis 30 Jahre angelegte Haltbarkeit wird dadurch weiter gemindert. Das durch gelöste Radionuklide chemisch aggressive Wasser beschleunigt die Korrosion von stützenden Stahl- und Betonteilen. Um die Konstruktion wenigstens notdürftig zu stabilisieren, wurden zwischen 2006 und 2008 gut 21.000 Kubikmeter Beton in gefährdete Bauteile gefüllt.

Wie fragil die Schutzhülle sein könnte, zeigte sich im Februar 2013: Völlig unerwartet stürzte damals ein Teil des an den Sarkophag grenzenden Maschinenhauses ein. Ein 600 Quadratmeter großes Loch entsteht, durch das radioaktiver Staub entweicht. Nach Angaben der IAEA führte wahrscheinlich eine Kombination von Materialermüdung, Korrosion und einer hohen Schneelast auf dem Dach des Gebäudes zum Einsturz.

Versickernde Brühe

Das eindringende Wasser birgt aber noch weitere Gefahr: Durch Reaktionen an der Oberfläche der erstarrten Kernschmelze lösen sich stark radioaktive Partikel und Elemente aus dem Urangemisch. „Als Ergebnis dieser Prozesse hat sich eine hochradioaktive Flüssigkeit gebildet, in der auch Plutonium- und Uransalze vorhanden sind“, heißt es im Greenpeace-Report. In den unteren Räumen des Sarkophags sammeln sich dadurch tausende Kubikmeter der strahlenden Giftbrühe.

Und diese bleibt leider nicht im Sarkophag. Stattdessen sickert das hochradioaktive Wasser offenbar bereits ins Erdreich unter der Reaktorruine. Schätzungen zufolge könnten jährlich mehr als 1.000 Kubikmeter dieser Brühe auf diese Weise versickern. Selbst die Kraftwerksbetreiber räumen diese Gefahr ein: Es bestehe eine große Gefahr des unkontrollierten Auslaufens in die Räume des angrenzenden Blocks 3 und generell aus dem Sarkophag, erklären sie.

Bisher scheint aber zumindest das Grundwasser unter dem Reaktor dadurch nicht verseucht zu sein. Die 34 um den Sarkophag verteilen Messbrunnen registrierten bisher keine längerfristigen Überschreitungen der Grenzwerte. Damit im Falle eines Falles der naheliegende Fluss Prypjat nicht gleich mit verseucht wird, wurde zudem eine 13 Kilometer langer Lehmwall in den Untergrund eingezogen. Ob diese Barriere jedoch ihren Zweck erfüllen würde, ist nicht erwiesen.

Der alte Kühlteich des Kraftwerks ist zwölf Kilometer lang - und stark verseucht. © NASA/Earth Observatory, Jesse Allen

Giftschlamm im Kühlteich

Ein weiteres bisher ungelöstes Problem ist der Kühlteich des Kernkraftwerks Tschernobyl. Er wurde in einem ehemaligen Bett des Prypjat-Flusses angelegt und enthält inzwischen 160 Millionen Kubikmeter verseuchtes Wasser. Nach Angaben des Greenpeace-Berichte hat sich inzwischen an seinem Grund eine Schicht aus radioaktivem Schlamm abgelagert, die insgesamt eine Radioaktivität von gut einem Petabecquerel freisetzen könnte.

Das Problem: Der Teich wird nur durch einen Damm vom heutigen Lauf des Prypjat getrennt. Weil der Wasserstand im Teich sieben Meter höher liegt als der Pegel des Flusses, würde bei einem Dammbruch das kontaminierte Wasser in den Fluss strömen. Umgekehrt birgt aber auch ein Austrocken des Kühlteichs eine Verseuchungsgefahr. Denn dann entstünde radioaktiver Staub, der mit dem Wind in der Umgebung verteilt werden könnte.

Zur Lösung des Problems plant ein IAEA-Projekt, den Wasserspiegel des Kühlteichs zunächst auf die Ebene des Flusses abzusenken. Dann soll das Reservoir geteilt werden, damit bis zu 20 kleinere Seen entstehen. Der in ihnen abgelagerte Schlamm könnte dann allmählich entsorgt werden, so die Hoffnung. Avisierter Abschluss dieser Millionen Euro teuren Arbeiten: frühestens 2020.

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Nadja Podbregar
Stand: 22.04.2016

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In den Schlagzeilen

Inhalt des Dossiers

30 Jahre Tschernobyl
Der größte Atomunfall der Geschichte, eine Ruine und die Folgen

Die Vorgeschichte
Eine Katastrophe bahnt sich an

Der Unfall
Der GAU ist nicht zu stoppen

Tödliche Terra inkognita
Uranlava, ein löchriger Sarkophag und viel Staub

Hochradioaktive Brühe
Die Tschernobyl-Ruine hat ein Wasserproblem

Koloss auf Schienen
Eine neue Schutzhülle für den Reaktor

In der "verbotenen Zone"
Gefahrenzone, Refugium und Forscherparadies in einem

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