Kaum eine Naturkatastrophe der letzten Jahre hat sich so nachhaltig ins Gedächtnis der Menschen gebrannt wie der Tsunami Ende 2004 in Südostasien. Grund für die Flutwelle war eines der stärksten jemals gemessenen Erdbeben vor der Küste Sumatras. Dieses zerriss den Meeresboden auf einer Länge von hunderten Kilometern und versetzte die darüber liegenden Wassermassen schockartig in Bewegung. Doch Tsunamis hat es im Laufe der Erdgeschichte immer wieder gegeben und nicht immer war der Auslöser ein Erdbeben.
Rutschung löst Tsunami aus
Der Storegga-Canyon in Nordnorwegen vor einigen tausend Jahren: Auf der Höhe von Trondheim verliert ein großer Teil des Kontinentalabhangs seine Stabilität, kommt ins Rutschen und stürzt in Richtung Tiefsee. Auf seinem Weg reißt die gigantische Unterwasserlawine alles mit sich, was sich ihr in den entgegen stellt und kommt erst nach 800 Kilometern wieder zum Stehen. Die „Schockwellen“ rasen durch das Wasser und lösen einen gewaltigen Tsunami aus, der in kürzester Zeit die Küsten Schottlands und Islands überrollt. Schätzungsweise 5.600 Kubikkilometer Sediment und Geröll gerieten damals in Bewegung, was immerhin dem hundertfachen Volumen des Bodensees entspricht.
Die Ursache für eine der weltweit größten bekannten Rutschungen lag vermutlich im Untergrund: Große Vorkommen an Gashydraten hatten sich gelöst und die Lawine ins Rollen gebracht. Gashydrate sind feste, eisähnliche Substanzen, die sich bei niedrigen Temperaturen und hohem Druck aus einer Mischung von Gas und Wasser bilden. 90 Prozent der natürlich vorkommenden Hydrate enthalten das Erdgas Methan als zentrales Molekül, um das sich die Wassermoleküle käfigartig herumgruppieren. Die Gashydrate wirken im Porenraum von marinen Sedimenten wie Zement und führen dadurch zu einer hohen Festigkeit der Kontinentalhänge. Bei Meeresspiegelschwankungen und somit Druckverlust am Ozeanboden oder einer Erwärmung des Wassers verlieren die Gashydrate jedoch ihre Stabilität und gehen in den gasförmigen Zustand über – der Hang gerät ins Rutschen.
Dass der gewaltige Abbruch im norwegischen Storegga-Canyon kein Einzelfall war, darauf deuten jüngste Untersuchungen der Universität Erlangen-Nürnberg im Rahmen von HERMES hin. Sie fanden als Indizien im Vestfjord, südlich der Lofoten, zahlreiche fossile Korallenriffe. „Die auffallend einheitliche Größe dieser Korallenschutthügel deutet auf eine zeitgleiche Entstehung sowie – noch bemerkenswerter – den zeitgleichen Todeszeitpunkt hin. „Noch ist dieses Phänomen ungeklärt, doch möglicherweise besteht ein Zusammenhang zu einer gewaltigen Rutschung am nahe gelegenen Kontinentalhang vor circa 4.000 Jahren“, erläutert Expeditionsleiter André Freiwald. „Die dabei aufgewirbelten Sedimentmassen könnten die Riffe schlagartig zum Absterben gebracht haben – allerdings ist dies nur eines von vielen denkbaren Szenarien“, schränkt Freiwald vorsichtig ein.
Endlager Schelf
Doch woher kommen eigentlich die Sedimente an den Kontinentalhängen? Im Gegensatz zur Tiefsee sind vor allem die Schelfe von einer mehrere tausend Meter mächtigen Sedimentschicht bedeckt. Ob Sand, Geröll, Schlamm oder totes organisches Material: über Millionen von Jahren hinweg sammeln sich hier die Schwebstoffe aus den Flüssen und setzen sich am Grund der Schelfe ab. Durch diesen Nährstoffeintrag und aufgrund des Sonnenlichts in den Flachwasserbereichen ist hier auch die biologische Produktivität im Vergleich zur Tiefsee wesentlich größer. Abgestorbenes organisches Material sinkt zusätzlich zu den mineralischen Bestandteilen an den Grund der Kontinentalränder. Nur ein Bruchteil davon gelangt letztendlich aber auch irgendwann einmal in die Tiefsee, entweder durch die Hangrutschungen oder den Abtrag zu Zeiten niedriger Meeresspiegelstände. So wirken die Kontinentalränder wie eine gigantische Sedimentfalle und vereinen beispielsweise 80 Prozent der gesamten Sedimentmenge des Atlantischen Ozeans auf sich.
Stand: 16.12.2005