William Stevenson Baer staunte nicht schlecht, als zwei schwer verwundete Soldaten mit offenen Wunden eingeliefert wurden. Es war der Erste Weltkrieg und die beiden hatten eine ganze Woche lang völlig unversorgt mit ihren Verletzungen auf dem Schlachtfeld in Frankreich gelegen. Verwundert bemerkte der amerikanische Orthopäde, dass die Wunden sauber zu heilen schienen, obwohl sie von Maden nur so wimmelten.
Baer war schnell überzeugt von der Nützlichkeit der Fliegenmaden und setzte diese Behandlungsmethode auch später als Professor für Chirurgie fort und stellte dabei unter anderem fest, dass es notwendig war, sterile Tiere zu verwenden. Seine Maden-Behandlung war sehr erfolgreich aber nicht besonders neu. Schon im amerikanischen Bürgerkrieg erkannte der Feldarzt J.F. Zacharias die Nützlichkeit der Maden. Bei den Maya-Indianer und den australischen Aborigines wurden infizierte Wunden auch schon auf diese Weise geheilt.
Ein Sekret, das alles kann
Fliegenmaden, die sich in offenen Wunden tummeln, sind nun wirklich kein schöner Anblick. Wie kommt es, dass gerade diese Methode so viele Vorteile hat? Das Geheimnis liegt in dem Verdauungssekret der Tiere. Es wird auf die Wunde sezerniert und die eiweißabbauenden Bestandteile greifen ausschließlich totes Gewebe an. Die abgestorbenen Bestandteile werden verflüssigt und so schonend von dem lebenden Gewebe gelöst. Die Maden nehmen diese Nährlösung dann auf.
Das Larvensekret hat aber noch weitere Funktionen: Es wirkt wundreinigend, wundheilungsfördernd und antimikrobiell – ein wahres Wundermittel. Die Behandlung ist für den Patienten absolut schmerzfrei, er nimmt nur ein leichtes Kitzeln wahr, wenn die Maden über die gesunde Haut kriechen. Oft kann nur auf diese Weise eine Amputation verhindert werden. Nach drei bis vier Tagen haben die Larven ihr Gewicht vervielfacht und werden mit Kochsalzlösung abgespült.
Der Ekel bleibt
Klingt trotzdem ganz schön eklig, oder? Kein Wunder, dass die Madenbehandlung mit dem Einsatz von Penicillin und anderen Antibiotika ab 1940 schnell wieder in Vergessenheit geriet. Allerdings kam es zu Beginn der Neunziger Jahre zu den ersten Resistenzen, die zeigten, dass die Wunderwaffe Antibiotika nicht ewig halten würde. Nun war die antibakterielle Wirkung der Fliegenmaden wieder sehr gefragt. Die Therapie wurde in den Vereinigten Staaten wieder entdeckt und breitete sich von dort nach Europa aus.
Heute sind sterile Fliegenlarven durch das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte als Fertigarzneimittel klassifiziert, die Behandlung ist kostengünstiger als herkömmliche Methoden und wird von Krankenkassen übernommen.
Als einziges Problem bleibt der Ekel, denn Maden werden mit Fäulnis und Tod assoziiert. Befragungen von Patienten zeigten, dass diese sich vor allem davor fürchteten, die Larven könnten sich in das Gewebe nagen und über ein Gängesystem so immer weiter in den Körper eindringen und diesen von innen auffressen. Diese Befürchtungen sind unbegründet. Erstens besitzen die Maden gar keine beißenden Mundwerkzeuge, die in der Lage wären, so weit durch menschliches Fleisch zu dringen, zweitens brauchen sie Sauerstoff und wären daher gar nicht in der Lage, in tiefen Gängen unter der Haut des Patienten zu überleben.
Nichts zu sehen – gut so
Aber wie das so ist mit dem Ekel – rationale Argumente helfen wenig, ihn vollständig zu überwinden. Ein neues Verfahren soll daher die Behandlung für skeptische Patienten erträglicher machen. Die Larven gelangen dabei gar nicht mehr in unmittelbaren Kontakt mit der Wunde, sie werden durch eine mit Gaze abgeschlossene Kammer vom Gewebe getrennt. Durch diese Gazeschicht sickert das Sekret und löst die abgestorbenen Wundbestandteile auf. Die bewegungsunfähigen Maden nehmen die Nährlösung dann auf, sobald diese durch die Gaze quillt. Der Patient bemerkt davon nicht viel mehr als einen undurchsichtigen Verband, den er um die Wunde trägt.
Stand: 13.05.2005