Brown und seine Kollegen sind davon überzeugt, dass 2003 VB12 nicht mehr zum Kuiper- Gürtel gezählt werden kann, da dieser angeblich bei ungefähr 49 Astronomischen Einheiten (sieben Milliarden Kilometer) „aufhört“. Sie argumentieren, der entfernte neue „Bürger“ sei ein Bewohner des inneren Randes der lange hypothetisierten Oortschen Wolke, der Quelle für langperiodische Kometen.
Die Oortsche Wolke ist jedoch zehnmal weiter entfernt als Sedna an ihrem sonnenfernsten Punkt. Also schlugen die Entdecker vor, den Begriff „Innere Oortsche Wolke“ einzuführen und Sedna als erstes Mitglied derselben zu feiern. Ein weiterer Weg aus dem Dilemma wäre, anzunehmen, dass die Oortsche Wolke einfach viel näher ist als vermutet.
Browns Gegner halten das für dunkle Theorie. Vielen Wissenschaftlern fällt es schwer, an einen solchen abrupten äußeren Rand des Kuiper-Gürtels zu glauben, da keine natürlichen Prozesse bekannt sind, die scharfe Grenzen bewirken. Vielleicht spiegelt das Fehlen der TNOs jenseits von 49 Astronomischen Einheiten nur die „Beobachtungsgrenze“ wider, und die Wissenschaftler werden dort sehr wohl eisige Welten aufstöbern, wenn unsere Telskope größer und unsere CCD-Kameras besser geworden sind. Vielleicht gibt es auch eine ziemlich breite „Lücke“ im Kuiper-Gürtel, und es existert ein zweiter Kuiper-Gürtel ab einer Entfernung von etwa 100 Astronomischen Einheiten.
Unter den Kuiper-Gürtel-Forschern kursiert schon seit längerer Zeit die These, wonach ein nahe am Sonnensystem vorüberziehender Stern die TNOs ein wenig „aufgewirbelt“ haben könnte. Ein solches Szenario würde gleich mehrere Merkwürdigkeiten erklären: Der „Besucher“ hätte die Himmelskörper auf ihre jetzigen exzentrischen Bahnen lenken können, indem er Brocken aus der Oortschen Wolke herausriss und in Richtung Sonne schleuderte.
Rätsel der Bahnen
Auch das Rätsel, warum manche klassische Kuiper Belt Objekte so stark geneigte Bahnen haben, wäre damit elegant zu lösen. Und dann käme noch Licht in eine „familiäre Angelegenheit“ unseres Heimatsterns: Ein derart nahes Vorbeiziehen eines anderen Sterns ist nur wahrscheinlich, wenn die Sonne gemeinsam mit anderen Sonnen in einem anfangs sehr dichten Sternhaufen entstanden ist. Die Existenz von Sedna wird daher als mögliches erstes Indiz gewertet, dass sich die Sonne tatsächlich in einem Sternhaufen gebildet hat.
Darüber hinaus könnte es einem passierenden Stern gelingen, jenen relativ scharfen Rand des Kuiper- Gürtels zu erzeugen, an dem einige Wissenschaftler zweifeln. Laut Modell müsste der stellare Nachbar weniger als 100 Millionen Jahre nach der Geburt unseres Sonnensystems an der Sonne vorbeigezogen sein. „Der Stern wäre so nahe gewesen, dass er heller als der Vollmond und 20.000 Jahre am Tageshimmel der Erde sichtbar gewesen wäre“, erklärt Brown.
Auf unserem Heimatplaneten hätte der „Sternbesuch“ ein Desaster ausgelöst: Die Gravitationskraft des Sterns hätte Kometen aus der Oortschen Wolke ins innere Sonnensystem abgelenkt und einen Meteoritenschauer ausgelöst, der alles damals existierende Leben auf unserem Planeten auslöschte. „Sollte die Idee von der Begegnung mit einem anderen Stern zutreffen – und ich wette, es stimmt –, bedeutet das, dass da draußen noch jede Menge Welten herumfliegen, einige davon sicher so groß wie Pluto oder sogar größer“, schwärmt Brown.
Stand: 07.05.2004