Zwar haben die beiden Golfkriege in den 1980er und 1990er Jahren in der Natur tiefe Spuren hinterlassen, doch längst nicht alle Umweltprobleme, die den Irak heute in seinen ökologischen Grundfesten erschüttern, haben dort ihre Ursache.
Die vielleicht größte Umweltkatastrophe im Zweistromland, die sich sich seit 30 Jahren – von der Weltöffentlichkeit weitgehend unbemerkt – am Unterlauf der Flüsse Euphrat und Tigris abspielt, ist ein gutes Beispiel dafür. Dort, nur wenige Kilometer nordöstlich der Metropole Basra am Shatt al-Arab, sind die 20.000 Quadratkilometer großen mesopotamischen Marschlandschaften – der sagenumwobene Garten Eden der Bibel und Teil des sogenannten „fruchtbaren Halbmondes“ – mittlerweile fast vollständig ausgetrocknet.
Erkannt wurde das ganze Ausmaß der Schäden erst durch den Vergleich von Satellitenaufnahmen aus den Jahren 1973 und dem Jahr 2000. Darauf war zu erkennen, dass Feuchtgebiete mit Seesystemen, Watt- und Schilflandschaften, Felder, Weiden und zahlreiche seltene Tier- und Pflanzenarten, die aufgrund ihrer Schönheit und Einzigartigkeit immer wieder die Phantasie der Menschen beflügelt haben, schlicht und einfach nicht mehr existieren. An ihrer Stelle haben riesige Wüstenareale mit kargem, salzüberkrusteten Böden, nackten Felsen oder gewaltigen Stein- und Staubansammlungen die Region erobert.
Klaus Töpfer, der ehemalige deutsche Umweltminister und heutige Exekutiv-Direktor der Umweltschutzorganisation der Vereinten Nationen (UNEP), hält dieses ökologische Desaster im Zweistromland sogar für so schwerwiegend, dass es mit dem Austrocknen des Aralsees und dem Abholzen des tropischen Regenwaldes im gleichen Atemzug genannt werden muss.
Wenn jedoch nicht der Krieg für diese vielleicht „größte Umweltkatastrophen aller Zeiten“ (UNEP-Direktor Timothy W. Foresman) verantwortlich ist, wie konnte es dann zu dieser dramatischen Vernichtung von Fauna und Flora kommen?
Auf der Suche nach Gründen für das Austrocknen der Feuchtgebiete gerät schnell der Mensch ins Fadenkreuz der Kritik. 32 große Staudämme gibt es heute im Einzugsgebiet von Euphrat und Tigris, acht weitere sind im Bau, zwölf andere noch in der Planung. Schon diese wenigen Zahlen lassen ahnen, wie sehr sich die Wassersituation im Zweistromland etwa ab Mitte der 1950er Jahre, den Anfängen des Dammbaubooms, verändert hat.
Längst hat der Mensch das Kommando über das Wassersystem übernommen. Nicht mehr Schneeschmelze oder Dürreperioden bestimmen darüber, wie hoch die Pegel der Flüsse sind, sondern Ingenieure an den Schaltzentralen der Wasserspeicher diktieren, wieviel Wasser stromabwärts gelangt. Alle heute am Euphrat bereits existierenden Dämme und Speicher könnten problemlos fünf mal so viel Wasser speichern, wie der Fluss durchschnittlich im Jahr aus den Gebirgen im Norden zum Persischen Golf trägt.
„Den letzten beißen die Hunde“ – in Sachen Süßwasser trifft dieses Sprichwort an Euphrat und Tigris vor allem auf den Irak zu. Bis die Fluten der Zwillingsströme und seiner Nebenflüsse Mesopotamien erreichen, haben sich Nachbarn wie die Türkei, Syrien und der Iran schon kräftig aus den besonders im Frühjahr heftig sprudelnden Quellen bedient.
Vor allem der verhasste Glaubensbruder im Norden ist es, der den Irakern Kummer macht. Die Türkei treibt dort mit Macht das Südost-Anatolien-Projekt (GAP) mit 22 Dämmen und 19 Wasserkraftwerken voran. Die Vorzeigeobjekte des Unternehmens sind der bereits 1990 fertiggestellte Atatürk-Damm am Euphrat und der geplante Ilisu-Damm am Tigris. 27.300 Gigawattstunden Strom – gut ein Viertel des heutigen Energiebedarfs der Türkei – sollen in Zukunft im Rahmen des GAP erzeugt werden. Die Speicher müssen aber auch die gewaltigen Wassermengen liefern, die für die Bewässerung von 1,7 Millionen Hektar Land gebraucht werden.
Nach Fertigstellung aller Projekte wäre die Türkei jederzeit in der Lage, Syrien und Irak regelrecht den „Wasserhahn“ abzudrehen und das lebensnotwendige Naß vorzuenthalten. Selbst ein Krieg um Wasser wäre dann durchaus möglich.
Stand: 13.01.2003