Regionen

Worst case oder Eden again?

Gibt es noch eine Rettung für die mesopotamischen Feuchtgebiete?

Für die mesopotamischen Marschlandschaften war schon die Inbetriebnahme der bisher fertiggestellten Nadelöhre an Euphrat und Tigris fatal. Mehrere Milliarden Kubikmeter des kostbaren Nass gelangten dadurch Jahr für Jahr weniger stromabwärts und sorgten für eine bedrohliche Wasserkrise in den Feuchtgebieten.

Probleme ohne Ende…

Durch das Ausbleiben der regelmäßigen Flutwellen fehlte zudem der für die empfindlichen Ökosysteme so wichtige Wechsel zwischen Überschwemmungsperioden und Trockenfallen. Nicht nur die Ausdehnung der Marschbereiche wurde so geringer, auch die Verteilung und Zusammensetzung des Artenspektrums von Fauna und Flora änderten sich.

Darüberhinaus konnte durch das plötzliche Ausbleiben des Hochwassers das Salz, das sich in den Flussniederungen im Laufe des Jahres durch Bewässerung oder natürliche Prozesse angesammelt hatte, nicht mehr ausgeschwemmt und in den Persischen Golf abgeschoben werden. Großräumige Bodenversalzungen waren die Folge.

Doch damit nicht genug: Ein anderes Problem für die Feuchtgebiete war die Abnahme der Wasserqualität in Euphrat und Tigris. Die Fluten, die aus den landwirtschaftlichen Bewässerungsgebieten in die Ströme zurückflossen, waren extrem salzhaltig und zudem mit chemischen Rückständen beladen und trugen erheblich zur Zerstörung der Marschlandschaften bei.

So sehr der niedrige Pegel der Flüsse und die fehlenden Flutwellen auch am ehemaligen Garten Eden zehrten, das endgültige Aus für das einzigartige Naturschutzgebiet war gekommen, als das Hussein-Regime nach dem Golfkrieg 1991 damit begann, die Marschlandschaften systematisch mit einem Entwässerungs- und Wasserumleitungssystem zu überziehen.

Nach Angaben der Irak Foundation dienten diese Maßnahmen ausschließlich dem Ziel, der in den Gebieten heimischen Bevölkerung, der Volksgruppe der Ma’dan, habhaft zu werden. Diese angeblich „aufmüpfigen“ Regime-Gegner sollten durch die Trockenlegung der Sümpfe ihres sicheren Schutzes beraubt und „unschädlich“ gemacht werden. Die Mission hatte Erfolg: Von den ehemals 300.000 Ma’dan in den Marschländern leben heute 50.000 als Flüchtlinge im Iran, viele andere haben irgendwo im Irak Unterschlupf gesucht.

Die Folgen

Die Central und Al Hammar-Feuchtgebiete jedoch waren durch die Entwässerungsmaßnahmen ihrer Lebensgrundlage beraubt und trockneten innerhalb weniger Jahre vollständig aus. Von der Hawr Al Hawizeh/Al Azim-Marsch ist heute nur noch ein kläglicher Rest an der Grenze zwischen Iran und Irak übrig geblieben, Tendenz rapide sinkend. Geplante Dämme am Karkheh im Iran und am Tigris (Ilisu) in der Türkei, werden in Zukunft vermutlich noch mehr Wasser aus den sie speisenden Strömen abzapfen und so auch diesem Feuchtgebiet endgültig den Garaus machen.

Schon jetzt jedoch sind zahlreiche endemische oder zumindest selten Arten, wie beispielsweise der Heilige Ibis, in der Region ausgestorben oder stark in ihrem Bestand gefährdet. Auch ihre Rolle als Rast- oder Brutplatz für Zugvögel können die mesopotamischen Marschlandschaften heute nur noch ansatzweise erfüllen. Der Landwirtschaft im Süden des Irak sind zudem große Flächen zum Anbau von Reis, für den Fischfang oder zur Viehhaltung verloren gegangen. Als Folge davon ist die Nahrungsmittelproduktion im Süden des Landes schon vor Jahren zusammengebrochen. Eine Hungersnot konnte seit Mitte der 1990er nur durch Hilfslieferungen aus dem Westen über das Programm „oil for food“ verhindert werden.

Als wäre der Niedergang dieses berühmten Naturraums nicht schon schlimm genug, kam es durch das Austrocknen der Marschen und Auen auch noch zu anderen schwerwiegenden Auswirkungen auf die Region.

Durch das Fehlen der riesigen Wasserflächen änderte sich beispielsweise das Mikroklima in den ehemaligen Marschgebieten merklich und führte unter anderem zu einem vermehrten Auftreten von Staubstürmen. Das durch Naturereignisse aufgewirbelte Gemisch aus Salz-, Sand- und Bodenpartikeln wurde über größere Gebiete verteilt, lagerte sich flächendeckend ab und führte so zu weiteren Bodenversalzungen.

„Eden again“?

Die seit einiger Zeit auf das Problem aufmerksam gewordene UNEP versucht jetzt zu retten, was zu retten ist. 2001 ist die Studie „The Mesopotamian Marshlands: Demise of an Ecosystem“ erschienen, die in erster Linie den Auftrag hatte, den „Status Quo“ in der Region zu bestimmen. Auf der Basis der Ergebnisse soll jetzt eine Langzeitstrategie entwickelt werden, um die verbliebenen Reste der Marschlandschaften zu erhalten. „Eden again?“: Die UNEP und die Irak Foundation wollen aber auch versuchen, zumindest Teile der verlorenen Habitate durch eine Wiederüberflutung zurückzugewinnen.

Wie viel Wasser benötigt jedes Land in der Region wirklich? Welche Projekte haben eine vorrangige Bedeutung für das gesamte Gebiet und müssen deshalb zuerst realisiert werden? Wo muss Naturschutz Vorrang vor Energiegewinnung haben? Ohne Antworten auf solche Fragen, ohne einen internationalen Masterplan zur Wassernutzung an Euphrat und Tigris, so die UNEP, sind alle Vorhaben zum Scheitern verurteilt. In so einem Fall würde es nicht mehr lange dauern, bis die mesopotamischen Marschländer ganz von den Landkarten verschwunden sind…

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Stand: 13.02.2004

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In den Schlagzeilen

Inhalt des Dossiers

Irak
Von der Wiege der Kulturen zum internationalen Krisengebiet

Vom Paradies zum Land ohne Hoffnung?
5.000 Jahre Mesopotamien

Von Städten, Palästen und Müllproblemen
Mesopotamien vor 5.000 Jahren

Babylon als Nabel der Welt
Aufstieg und Niedergang Mesopotamiens

Nebukadnezars Nachfolger
Der Irak unter Saddam Hussein

Ein Land vor dem Kollaps...
Von UNO-Sanktionen und hausgemachten Problemen

Saddam-Land
Der Irak im Überblick

Hunger, Krebs und Missbildungen
Die humanitäre Katastrophe

Wie gefährlich ist Uran-Munition?
Die Suche nach den Gründen für Krebs und Golfkrieg-Syndrom

Vom Garten Eden zur Wüste
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