22. Februar 2001, 06.20 Uhr: Das Kreuzfahrschiff MS „Bremen“ hat aus der Antarktis kommend Kurs auf Rio de Janeiro genommen und befindet sich viele Hundert Meilen nordöstlich der Falkland-Inseln auf offener See. Während die ersten der 135 Passagiere gerade ihre Morgentoilette beginnen und die anderen schon vom Karneval am Zuckerhut oder den Bikini-Schönheiten an der Copacabana träumen, sieht sich das Traumschiff aus der Hapag Lloyd Flotte bei schwerer See plötzlich einer gewaltigen Riesenwelle gegenüber.
Die Besatzung auf der Brücke steht Auge in Auge mit dem Wellenkamm und muss hilflos zusehen wie die Welle bricht und das Schiff überrollt. Die Fenster des Kommandostandes werden eindrückt und das eindringende Meerwasser setzt in kürzester Zeit alle elektrischen Geräte außer Gefecht. Auch die Motoren fallen aus – das Notstromaggregat ist außer Betrieb und muss erst wieder zusammengebaut werden – und der Luxusliner ist mehr als eine halbe Stunde lang manövrierunfähig und mit 40° Schlagseite der tobenden See ausgesetzt.
Nur mit knapper Not gelingt es der Besatzung, das Schiff notdürftig wieder flott zu machen und den rettenden Hafen in Buenos Aires zu erreichen. Verletzte gibt es glücklicherweise nicht. Im Logbuch hat der Kapitän einen Brecher von 35 Meter Höhe vermerkt. „Ich habe den Atem Gottes gespürt,“ sagt er später im Rückblick auf das durchlebte Inferno an Bord.
Gut eine Woche später, am 2. März 2001, wird das Kreuzfahrschiff „Endeavour“ ebenfalls vor der Küste Südamerikas – etwa auf halber Höhe zwischen Falklands und Feuerland – von einer ähnlich hohen Riesenwelle überrascht und schwer beschädigt. Auch hier sind keine Todesopfer zu beklagen.
Obwohl solche Berichte von Riesenwellen mit Wasserwänden so hoch wie Kirchtürme in letzter immer häufiger über die Ticker der Nachrichtenagenturen laufen, sind sie eigentlich nichts Neues. Schon seit Jahrhunderten erzählen Kapitäne und Matrosen ihre Geschichten von todbringenden Killerwellen vor dem Kap der Guten Hoffnung oder im Golf von Alaska, die sich ohne Vorwarnung auftürmen, schwere Verwüstungen anrichten und genauso schnell wieder verschwinden wie sie aufgetaucht sind. Sogar in den alten Seemannsliedern ist immer wieder die Rede von diesen Giganten der Meere.
Während man bis vor einiger Zeit solche Überlieferungen genauso für Seemannsgarn oder Hirngespinste rumumnebelter Matrosen hielt, wie die Berichte über Seeungeheuer oder Meerjungfrauen, liegen heute immer mehr glaubwürdige Aussagen von Schiffsbesatzungen wie der MS „Bremen“ vor, die die Existenz dieser Monsterwellen belegen. Auch haben Wissenschaftler weltweit in zahlreichen Studien nachgewiesen, dass es die Riesenwellen tatsächlich gibt und dass sie sogar viel häufiger vorkommen als man denkt.
Doch noch immer geben die Riesenwellen den Forschern zahlreiche Rätsel auf. Wie entstehen Monsterwellen? Welche Möglichkeiten gibt es zur Vorhersage? Wie kann man Menschen und Schiffe vor ihnen schützen? Antworten auf diese und viele andere Fragen versuchen die Meereswissenschaftler weltweit in Projekten wie dem EU-Vorhaben „MaxWave“ zu finden…
Stand: 04.11.2002