Während die Evolution in der Tier- und Pflanzenwelt ihre „Riesenphasen“ erst einmal hinter sich zu haben scheint, sind beim Menschen die Riesen auf dem Vormarsch: Die Menschheit wächst – nicht nur in der Menge, sondern vor allem in die Höhe. Eine neue Studie der Weltgesundheitsorganisation WHO hat festgestellt, dass die Menschen heute weltweit durchschnittlich 22 Zentimeter größer sind als noch vor hundert Jahren. Wir überragen unsere Urgroßmütter und -väter heute damit um einen ganzen Kopf.
In Europa liegen die Deutschen in Punkto Größenzuwachs an zweiter Stelle hinter den Niederländern: Mit 1,81 Metern ist der deutsche Durchschnittsmann heute sechs Zentimeter größer als sein Vater, die heute im Mittel 1,68 Meter großen Frauen übertreffen ihre Mütter immerhin noch um vier Zentimeter.
Wie schon bei den tierischen Riesen tappen die Forscher auch beim Menschen noch immer ziemlich im Dunkeln, wenn es um die Ursachen für diese Entwicklung geht.
Armut macht klein
Klar scheint bislang nur eines: Für die weltweite Größenzunahme sind wohl weniger genetische Faktoren als vielmehr veränderte Umwelteinflüsse verantwortlich, darunter wahrscheinlich in erster Linie Wohlstand oder Armut einer Gesellschaft.
Die Studie der WHO zeigt, dass knapp die Hälfte aller Kinder in den Entwicklungsländern deutlich kleiner ist als der weltweite Durchschnitt. Zwar haben die Menschen dort in den letzten Jahrzehnten auch leicht an Größe zugelegt, bleiben aber noch immer weit hinter den reicheren Ländern des Nordens zurück. Wissenschaftler führen dies unter anderem auf die eiweißarme Mangelernährung zurück.
Stress macht groß
Interessanterweise gibt es jedoch auch Unterschiede zwischen Stadt- und Landbewohnern, selbst wenn diese sich vergleichbar gut – oder schlecht – ernähren. Hierbei könnte, wie einige Wissenschaftler vermuten, ein „Urbanisierungstrauma“ den Städtern die entscheidenden Zentimeter verleihen: Die vielen äußeren Reize und Stressfaktoren, die in einer Stadt auf das Nervensystem einwirken, sollen dabei die Zellteilung und damit das Wachstum anregen. Bewiesen ist diese Theorie allerdings nicht.
Höhenschub durch Heterosis-Effekt
Neben dem schleichenden Größenwachstum der Weltbevölkerung gibt es jedoch auch immer wieder einzelne Kinder, die plötzlich sehr viel größer werden als ihre Eltern. Hier sind es vor allem genetische und hormonelle Faktoren, die diesen plötzlichen Wachstumsschub auslösen.
In einigen Fällen ist der so genannte Heterosis-Effekt verantwortlich: Beide Eltern stammen dann oft aus Familien, die über Generationen hinweg relativ isoliert lebten, beispielsweise auf einer Insel oder in einem Dorf, und nur Partner aus dem gleichen eng umgrenzten Kreis geheiratet haben. Als Folge ist der Genpool dieser Familien mit der Zeit „verarmt“. Wenn sowohl Vater als auch Mutter eines Kindes Träger von jeweils unterschiedlichen verarmten Genausstattungen sind, erhalten diese Gene im Nachwuchs zum ersten Mal wieder Gelegenheit, sich mit fremdem und daher neuem Erbgut zu mischen. Diese neue Mischung hat es dann entsprechend in sich und löst einen deutliche Wachstumsschub aus.
Endloswachstum durch Unreife
Doch auch ohne diesen Effekt kommt es immer wieder vor, dass Kinder auch nach der Pubertät einfach nicht aufhören zu wachsen und dadurch unfreiwillig zu „Riesen“ werden. Bei diesen Kindern fehlt das hormonelle Stoppsignal, das die Keimdrüsen normalerweise bei abgeschlossener Geschlechtsreife aussenden und das wiederum die Produktion von Wachstumshormon bremst. Inzwischen kann ein solches drohendes „Endloswachstum“ in der Regel mithilfe von hohen Dosen Sexualhormon künstlich abgebrochen werden – erkauft wird eine solche Geschlechtsreife im Schnelldurchgang allerdings unter Umständen mit Nebenwirkungen von Akne über Thrombosen bis hin zu Krebs…
Stand: 21.09.2002