Summend bewegt sich die Fliege auf die rote Blüte zu. Ob es hier wohl Nektar gibt? Sie wird in ihren Erwartungen nicht enttäuscht und saugt süße Nektartropfen vom Außenrand der Blüte. Doch auf einmal schnappt die vermeintliche Blüte zu. Wie ein Käfig schließen sich die langen Zähne am Blattrand über dem gefangenen Insekt. Weiter und weiter pressen die Blätter der Falle gegeneinander – es gibt kein Entrinnen.
Die Fliege ist reingefallen – und zwar auf den rotgefärbten Fangapparat von Dionaea muscipula, der Venusfliegenfalle. Die schmale Nektarzone am Blattrand vor den „Zähnen“ war eine weitere Täuschung. Während die Fliege mit der dürftigen Nektarmenge beschäftigt war, die nur zum Anlocken von Insekten dient, hat sie den Fangmechanismus ausgelöst.
Auf jeder Blatthälfte befinden sich nämlich drei, manchmal vier, Fühlerborsten oder Sinneshaare. Berührt das Insekt mit den Beinen diese Borsten, werden die Zellen in der Gelenkzone auf der einen Seite gestaucht und auf der anderen gestreckt. Wenn zwei Fühlerborsten oder eine zwei mal hintereinander innerhalb von 20 Sekunden gereizt wird, kommt es – ähnlich wie in den Nervenzellen von Tieren – zu einer Potentialänderung (das Membranpotential ändert sich von -160mV auf -50mV).
Dadurch erweitern sich Ionenkanäle in den Zellen und eine größere Menge an Calcium dringt ein. Ab einer bestimmten Konzentration schließt sich die Falle – und zwar mit einer Geschwindigkeit von einer zwanzigstel Sekunde. Diese Bewegung ist damit die schnellste im Pflanzenreich.
Der Schließmechanismus
Die Schließbewegung funktioniert über eine Änderung des Turgors, also des Wasserdrucks in den Zellen. Im geöffneten Zustand sind die Zellen auf der Außen- und Innenseite des „Scharniers“ prall gefüllt. Durch den Reiz entspannt sich der Turgor in den inneren Zellen, sie erschlaffen. Jetzt bieten sie dem Druck der äußeren Zellen, die zusätzlich noch Wasser aufnehmen, keinen Widerstand mehr und das Blatt klappt zu. Das Öffnen – sobald die Beute fertig verdaut ist – funktioniert umgekehrt. Jetzt wird Wasser in die inneren Zellen geschleust, bis sich der Druck wieder aufgebaut hat. Gleichzeitig wird neues Zellmaterial eingebaut.
Wenn die beiden Blatthälften gegeneinander pressen, können die Kräfte dabei so groß werden, dass kleinere Insekten zerquetscht werden. Aber das Schlimmste kommt noch: Bestimmte Proteine des Beutetiers lösen an Rezeptoren eine chemische Reizung aus, durch die die Produktion von Verdauungssekreten in Gang gesetzt wird. Das gefangene Insekt wird von den abgesonderten Verdauungsenzymen aufgelöst, die Nährstofflösung wird über Drüsen im Inneren der Falle aufgenommen. Je nach Größe der Beute dauert das einige Stunden bis zu zwei Wochen, meist aber zwischen drei und fünf Tagen. Danach öffnet sich das Blatt wieder und der unverwertbare Chitinpanzer wird vom Regen oder Wind entfernt. Die Falle ist nun bereit für den nächsten Fang.
Ein Fangapparat ist aber nicht unendlich oft einzusetzen. Nach sieben bis zehn Bewegungen oder zwei bis drei Mahlzeiten stirbt das Blatt ab.
Menschenopfer für fleischfressende Pflanzen?
Fleischfressende Pflanzen wurden früher oft als mordlustig dargestellt, es kursierten sogar Gerüchte über riesige Pflanzen in den Tropen, denen junge Frauen geopfert werden mussten, die ein ähnliches Schicksal wie unsere Fliege erlitten. Tatsächlich aber stellt diese Taktik eine Anpassung an den nährstoffarmen Standort – in unseren Breiten sind es meist Moore – dar. Der Fang von Insekten als zusätzlicher Nahrungsquelle kann ein mangelndes Angebot von Stickstoff und Nitratverbindungen ausgleichen.
Stand: 06.06.2002