Die Vorstellung, dass alle Säugetiere eine Art eingebauter Uhr besitzen, ist schon seltsam genug. Doch es kommt noch besser: Es gibt nämlich nicht nur eine, sondern gleich mehrere Uhren in unserem Körper. Nicht nur die höher entwickelten Tiere, auch Insekten, Pilze und sogar einzellige Algen haben offensichtlich eine innere Uhr in fast jeder einzelnen Körperzelle.
Messen lässt sich dies an der Menge der Boten-RNA, die die einzelnen Zellen produzieren. Sie ist der Mittler zwischen dem Erbmaterial im Zellkern und der im Zellkörper ablaufenden Proteinproduktion. Je mehr Boten-RNA aus dem Kern in das Zellplasma wandert, desto mehr Eiweißmoleküle werden gebaut. Ihre Konzentration verrät daher den Chronobiologen, wie aktiv die Zelle gerade ist.
Einzeller steigen auf, zum Licht
Auf der Suche nach zellinternen Rhythmen wurden die Wissenschaftler zuerst bei Algen fündig: Auf besonders eindrucksvolle Weise demonstriert die meeresbewohnende Geißelalge Gonyaulax polyedra, dass auch sie eine innere Uhr besitzt: Jeden Tag genau eine Stunde vor Sonnenaufgang steigen die winzigen Einzeller an die Meeresoberfläche, um dort mit dem ersten Licht mit der Photosysthese zu beginnen. Unter optimalen Licht- und Nährstoffbedingungen können sich ihre Schwärme zu einer regelrechten Algenmasse auswachsen – der „Roten Flut“.
Noch vor Sonnenuntergang lassen sich die Geißelalgen jedoch wieder in die Tiefe sinken und kaum ist es dunkel, produzieren sie ein fahles grünliches Leuchten – vermutlich um ihre Fressfeinde abzuschrecken. Dieses tagesrhythmische Verhalten zeigen die Algen auch dann, wenn sie unter konstanten Bedingungen in Labor gehalten werden, ohne jeden äußeren Zeitgeber.
Biologische Uhren ticken auch außerhalb des Gehirns
Doch nicht nur bei Einzellern, auch bei Experimenten mit isolierten Zellen von höheren Tieren bemerkten die Forscher Verblüffendes: Rattenzellen zeigten selbst in Zellkulturen für einige Tage ein deutliches zirkadianes Aktivitätsmuster. Obwohl sie in der Petrischale von jedem äußeren zeitgebenden Einfluss abgeschlossen waren, und keine innere Uhr des Körpers ihnen Befehle geben konnte, schienen sie einem geheimnisvollen inneren Rhythmus zu folgen. Steve Kay, Zellbiologe vom Scripps Forschungsinstitut in San Diego konstatiert: „Unsere Ergebnisse bestätigen, dass biologische Uhren auch in vielen Geweben außerhalb des Gehirns ticken.“
Dies gilt nicht nur für Fibroblasten, Vorläuferzellen von Haut und Bindegewebe oder Lungen- und Leberzellen, sondern noch stärker für die isolierten Zellen der SCN. Sie behalten ihren Rhythmus in der Zellkultur gleich wochenlang. Ganz offensichtlich hat jede dieser Zellen eine eigene winzige Uhr in ihrem Inneren, die die Zellaktivität steuert. Das bedeutet, dass auch wir Menschen offenbar nicht nur eine oder zwei innere Uhren haben, sondern gleich mehrere Millionen.
Stand: 27.03.2002