Wir schreiben das Jahr 406. Schon seit Monaten werden die römischen Grenzfestungen entlang des Rheins immer wieder von germanischen „Barbaren“ aus dem Osten angegriffen. Für die Soldaten keine leichte Aufgabe, denn ein Großteil der römischen Truppen ist aus Gallien und vom Rhein abgezogen worden, um in Italien gegen einfallende Goten und in Britannien gegen aufständische Truppen zu kämpfen. Dennoch schaffen es die römischen Soldaten, diese Raubzüge zu beenden und die Eindringlinge immer wieder zu vertreiben – bis zur Silvesternacht.
Über den Rhein nach Gallien
An diesem Abend drängt plötzlich eine ganze Armee von „Barbaren“ zwischen Mainz und Worms über die Grenze nach Gallien. Diese Armee besteht zu einem großen Teil aus Vandalen unter ihrem König Godigisel, aber auch Germanen aus der Volksgruppe der Sueben sowie Alanen aus dem Gebiet des heutigen Iran sind darunter, wie römische Quellen berichten. Diesem Ansturm sind die römischen Grenztruppen nicht gewachsen: Den Vandalen und ihren Verbündeten gelingt es, den Rhein zu überqueren.
Die Städte und Ortschaften der wohlhabenden römischen Provinz Gallien stehen ihnen damit offen – mit fatalen Folgen für deren Bewohner: „Die Vandalen brachten, überall wo sie vorüberzogen, Verwüstungen mit sich. Plünderungen, Blutbäder, Feuersbrünste und eine Fülle grauenhafter Leiden. Sie achteten nicht Alter noch Geschlecht, sie schonten die Diener des Herren ebenso wenig wie die Weihgefäße und die heiligen Bauten selber“, berichtet der Kirchenlehrer Augustinus, damals Bischof im nordafrikanischen Hippo.
Verrufene Ketzer
Allerdings: Augustinus war als katholischer Geistlicher alles andere als objektiv. Denn aus seiner Sicht waren die Vandalen allesamt Ketzer, weil sie dem arianischen Glauben anhingen. Diese frühchristliche Lehre lehnte die Dreifaltigkeit von Vater, Sohn und Heiligem Geist ab und sah daher im Gegensatz zur offiziellen römischen Kirche Jesus Christus nicht als gottgleich an. Für die Kirchenväter und viele römische Geschichtsschreiber waren die Vandalen damit ketzerische Barbaren – und entsprechend voreingenommen waren ihre Beschreibungen, wie man heute weiß.
„Ihr Ruf war nicht der Beste und das war sicher nicht ganz unbegründet“, erklärt Astrid Wenzel vom Badischen Landesmuseum in Karlsruhe. „Doch grausamer als die anderen Völker ihrer Zeit waren die Vandalen auch nicht.“ In Gallien allerdings stoßen die Vandalen schon nach kurzer Zeit auf erbitterten Widerstand: Die dort lebenden Franken, Verbündete der Römer, greifen sie an und töten den vandalischen König Godigisel. Nur durch die Hilfe der Alanen gelingt es den Vandalen, der Vernichtung zu entgehen.
Iberisches Zwischenspiel
Unter Führung von Godigisels Sohn Gunderich ziehen die Vandalen, Alanen und Sueben nun raubend und plündernd weiter nach Südwesten und erreichen im Jahr 409 die Iberische Halbinsel. Hier endlich gelingt es ihnen, sich niederzulassen und große Teile des heutigen Spanien und Portugal zu besetzen.
Doch diese „Atempause“ ist nicht von langer Dauer: Unterstützt von westgotischen Truppen greifen römische Truppen die Neuankömmlinge immer wieder an und schlagen schließlich die Alanen vernichtend. Für den seit 428 über die Vandalen herrschenden König Geiserich ist klar: Lange kann er dem gemeinsamen Druck der Westgoten und Römer nicht mehr standhalten. Daraufhin entschließt er sich zu einem wagemutigen und fast schon größenwahnsinnigen Schritt…
Nadja Podbregar
Stand: 20.07.2018