Medizin

Auf Umwegen zum Mediziner

Unsteter Beginn eines Forscherlebens

Als Archibald „Archie“ Leman Cochrane am 12. Januar 1909 im schottischen Galashiels geboren wird, stehen ihm alle Türen offen. Als Sprössling wohlhabender Eltern wird ihm eine gute schulische Ausbildung zuteil und er strebt eine akademische Karriere an. Schon früh beweist Cochrane dabei, dass er ein intelligenter wie engagierter Kopf ist. Er bekommt in England zunächst ein Stipendium für die Uppingham School, später dann für das King’s College der University of Cambridge. Sein dortiges Studium der Naturwissenschaften schließt er 1931 mit einem Master in Science ab.

In Cambridge beginnt der Student nun, sich der wissenschaftlichen Forschung zuzuwenden und beschäftigt sich mit Gewebekulturen. Doch bald erkennt er, dass ihn die reine Laborarbeit nicht erfüllt. Er entscheidet sich, zur Medizin zu wechseln. Zusätzlich treiben Cochrane jedoch persönliche Probleme um: Er leidet unter Anejakulation, einer sexuellen Funktionsstörung, bei der trotz Orgasmus keine Kontraktion der Geschlechtsorgane stattfindet und als Folge auch der Samenerguss ausbleibt.

Bei Theodor Reik studiert Cochrane die Psychoanalyse. © gemeinfrei

Exkurs in die Psychoanalyse

Hilfe bei seinen Schwierigkeiten erhofft sich Cochrane von der Psychoanalyse – und so macht er sich 1933 nach Deutschland auf. Bei Theodor Reik, einem der ersten Schüler Sigmund Freuds, erforscht Cochrane in Berlin die menschliche Psyche. Gleichzeitig begibt er sich bei Reik als Patient in Behandlung. Als der Lehrer und Arzt wegen seiner jüdischen Abstammung das unter Hitler politisch zunehmend angespannte Deutschland verlassen muss, folgt Cochrane ihm nach Wien und anschließend nach Den Haag.

Bald jedoch kommt er zu dem Schluss, dass die Psychoanalyse weitaus weniger hilfreich ist, als er erhofft hatte. Überzeugt, dass die ihm zuteil gewordene Therapie jeglicher wissenschaftlichen Grundlage entbehrt, kehrt Cochrane nach England zurück. Durch diese Erfahrung beginnt er schon damals ein Interesse für Wirksamkeitsnachweise in der Medizin zu entwickeln. Später kommentiert er dazu vernichtend: „Das ganze Feld der Psychiatrie wendet zahlreiche Behandlungsmethoden an, deren Wirksamkeit nie bewiesen worden ist.“ Die Disziplin sei „im Wesentlichen unwirksam“.

Kriegsverletzte im Krankenhaus: Im Spanischen Bürgerkrieg engagiert sich Cochrane als Sanitäter. © gemeinfrei

Als Sanitäter im Bürgerkrieg

Zurück auf der britischen Insel nimmt Cochrane 1934 seine medizinische Ausbildung wieder auf, am University College Hospital in London. Doch schon ein Jahr später unterbricht er erneut, was er begonnen hat. Mit dem Ausbruch des Spanischen Bürgerkriegs schließt sich der angehende Arzt der freiwilligen „Spanish Medical Aid Committee’s Field Ambulance Unit“ an. Als Sanitäter erlebt er die Belagerung von Madrid und die Schlachten von Jarama und Brunete.

Erst nach seiner Rückkehr qualifiziert sich Cochrane 1938 endlich als Arzt und praktiziert am West London Hospital und später als wissenschaftlicher Assistent am University College. Schon bald nimmt seine Laufbahn jedoch erneut eine unvorhergesehene Wendung.

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Daniela Albat
Stand: 02.12.2016

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In den Schlagzeilen

Inhalt des Dossiers

Cochrane: Pionier der evidenzbasierten Medizin
Ein Arzt kämpft für methodisch gute Forschung

Auf Umwegen zum Mediziner
Unsteter Beginn eines Forscherlebens

Wirksam oder unwirksam?
Prägende Jahre in deutscher Kriegsgefangenschaft

Ein Bergarbeiterdorf wird zum Labor
Die Pionierstudie "Rhonda Fach Scheme"

Harsche Kritik, die nachhallt
Das Buch "Effectiveness and Efficiency"

Cochranes Vermächtnis
Die Gründung der Cochrane Collaboration und der Begriff der EbM

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