Artenschutz-Biologen sind in der Vergangenheit davon ausgegangen, dass ein hohes Maß an Erbgutvielfalt und eine ganze Reihe von Aussetzungen oder Einwanderungsschüben zwingend nötig sind, damit sich eine eingewanderte oder neu eingeführte Art auf Dauer etablieren kann.
Andernfalls drohe ein genetischer „Flaschenhalseffekt“, so dachte man: Populationen gehen dann auf wenige Gründer- oder Pionierindividuen zurück und können daher zum Beispiel anfälliger für Krankheiten sein. Ein Beispiel für den Effekt sind Afrikas Geparde oder Europas Wisente – beides Arten, die einmal am Rande der Ausrottung standen, aber dem Artentod entgangen sind.
Algen, Hörnchen und Hirsche
Aber das ist offensichtlich nicht immer so: Beispiele für invasive Arten, die mit einer kleinen Zahl von Pionier-Individuen Neuland eroberten, machten Forscher bereits einige aus, so die „Killeralge“ Caulerpa taxifolia im Mittelmeer. Auch wurde schon nachgewiesen, dass die Freilassung eines einzigen Paares von Grauhörnchen mit mehr als 50-prozentiger Wahrscheinlichkeit zur Gründung einer neuen Population führt.
Im Reich der Hirsche beschränkt sich das Invasoren-Problem längst nicht mehr auf Muntjaks. Ein Viertel aller weltweiten Hirscharten wurde vom Menschen außerhalb der ursprünglichen Verbreitungsgebiete ausgesetzt. Ein Beispiel ist der von Natur aus in Ostasien heimische Sikahirsch, der heute auch in Europa, Australien, Neuseeland, den USA und selbst in Marokko und auf Madagaskar vorkommt.
„Wachsamkeit ist geboten“
Die britischen Muntjak-Forscher um Marianne Freeman sehen ihre Erkenntnisse zu den britischen Muntjaks auch als Warnung vor der Gefahr, dass schädlichen invasiven Arten eine kleine Gründerpopulation genügen kann, um neues Terrain zu erobern. „Selbst bei kleinen Freisetzungsaktionen von Arten wie dem Muntjak ist Wachsamkeit geboten“, warnen die Forscher. Andernfalls könne es zu irreversiblen biologischen Invasionen kommen, ganz gleich wie klein der ursprüngliche Genpool sei.
Zugleich sehen sie aber auch bessere Chancen für Wiederansiedlungen lokal ausgestorbener Arten. Oft genügten schon wenige Individuen, um einer Spezies eine neue Chance zu geben, heißt es in der Studie. Erfolgsbeispiele seien der Sattelvogel in Neuseeland, der Alpensteinbock und in China der Davidshirsch, der in freier Wildbahn zwischenzeitlich ausgestorben war.
Kai Althoetmar
Stand: 08.07.2016