Trotz der scheinbaren Grenzen, die unserer Sprache durch das Regelwerk der Grammatik und Semantik gegeben werden, ist die Fülle an Möglichkeiten, aus Wörtern Sprache zu zaubern, unerschöpflich. So beeindruckend diese Unendlichkeit jedoch ist, so lang scheint auch der Weg, den unser Sprachsystem im Gehirn durchläuft, um zu voller Reife zu gelangen.
Denn so verzückt Eltern auch sind, wenn ihr Kleines die ersten Wörter spricht – ob „Ma-Ma“ oder „Pa-Pa“ – so sehr wird in dem Moment auch deutlich, welche Quantensprünge es meistern muss, um später komplexe Sätze verstehen und interpretieren zu können. Einige dieser Sprünge sind in Windeseile erreicht, für andere braucht es viele Jahre.
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Igel oder Fuchs, wer jagt hier wen?
So verfügen bereits Dreijährige über einen umfangreichen Fundus an Vokabeln und können einfache Sätze problemlos verstehen. „Der Fuchs jagt den Igel“ beispielsweise. Eine echte Hürde erreichen die Kleinen jedoch dann, wenn der Satz von seiner einfachsten Struktur abweicht. Will man beispielsweise hervorheben, dass es der Igel und nicht etwa ein Vogel ist, den der Fuchs da jagt, so stellt man die Aussage entsprechend um: „Den Igel jagt der Fuchs“.
Missverständnisse sind dann vorprogrammiert. Denn junge Sprecher verlassen sich noch unbewusst auf die Annahme, dass das Subjekt, der jagende Fuchs, im Satz vor dem Objekt, dem gejagten Igel, steht. Andererseits registrieren Kinder schon unbewusst, dass der Artikel „den“ irgendwie nicht zum Subjekt passt, und nicht an den Anfang des Satzes gehört.
Auch das Gehirn muss reifen
Erst das erwachsene Gehirn kann die veränderte Reihenfolge der Satzbausteine mit Leichtigkeit verarbeiten. Warum ist das so? Warum können wir zwar einerseits bereits im Mutterleib Vokale voneinander unterscheiden, andererseits jedoch frühestens im Alter von sieben Jahren grammatikalisch anspruchsvollere Sätze verstehen, selbst wenn sie sich aus einfachen Wörtern zusammensetzen?
Kurz gesagt: Gut Ding will Weile haben. Das Gehirn und seine einzelnen, für die Sprache zuständigen Hirnareale reifen unterschiedlich schnell heran. Manche Areale verdichten erst nach und nach ihr Netzwerk zu anderen Regionen, sodass sie dann Informationen immer schneller und effektiver austauschen können.
Angela Friederici, Michael Skeide und Verena Müller / Max-Planck Institut für Kognitions- und Neurowissenschaften
Stand: 26.02.2016