Wie universell das biologische Programm der Sprachentwicklung ist – von der Schreiphase und der Lallphase über den Erwerb erster Wörter und syntaktischer Regeln bis hin zur Verarbeitung von komplexen Satzstrukturen – lässt sich besonders an Kindern bestaunen: Mühelos kann jedes Kind jede Sprache der Welt erlernen, in die es hineingeboren wird.
Blind für „R“ und „L“
Nach der Geburt ist es zunächst offen für jede Sprache, spezialisiert sich dann aber gemäß dem jeweiligen sprachlichen Umfeld. So erkennen in den ersten Lebensmonaten noch alle Kinder weltweit gleichermaßen lautliche Unterschiede, egal ob sie in der jeweiligen Muttersprache von Bedeutung sind oder nicht.
Später können sie dann nur noch diejenigen auseinanderhalten, die in der eigenen Muttersprache relevant sind. Ein berühmtes Beispiel ist der Unterschied zwischen den Sprachlauten „r“ und „l“, der zwar im Deutschen entscheidend ist, um „Rast“ von „Last“ zu trennen, nicht aber im Japanischen. Deshalb geht bei Japanern die Fähigkeit verloren, diese Sprachlaute zu unterscheiden. In anderen Sprachen sind wiederum andere Laute ohne Bedeutung, sodass auch diese verloren gehen.
Sprachmelodien und geschlechtsspezifische Grammatik
Und auch andere Eigenheiten unserer Muttersprache manifestieren sich schon früh: So zeigen Studien, dass Säuglinge bereits beim Schreien typische „Sprachmelodien“ ihrer Muttersprache nachahmen. Französische Neugeborene produzieren häufiger ansteigende Schreimelodien, kleine Deutsche schreien dagegen eher mit fallender Tonhöhe – und nutzen damit Betonungsmuster, wie sie für diese Sprachen typisch sind.
Wenn dann die Grundlagen des Sprechens einmal gelegt sind, lernen Mädchen und Jungen die Feinheiten der Grammatik jeweils ein wenig anders, wie US-Forscher kürzlich herausfanden. Mädchen speichern konsequent alle Verben – egal ob regelmäßig oder unregelmäßig – in einer Art mentalem Wörterbuch. Dadurch lernen sie auch abstrakte Wörter schnell. Jungen dagegen leiten die regelmäßigen über ein Grammatikmodul ab.
Angela Friederici, Michael Skeide und Verena Müller / Max-Planck Institut für Kognitions- und Neurowissenschaften
Stand: 26.02.2016