Heute ist Wikipedia für viele Internetnutzer die erste Anlaufquelle, wen es um Wissen geht. Aber wie reagiert die Wissenschaft auf diese Quelle? Nutzen Forscher sie? Genügt sie ihren Ansprüchen? Hier stellt sich zunächst die Frage, welchen Anreiz Forschende überhaupt haben könnten, Artikel in der Wikipedia zu lesen oder gar aktiv mitzugestalten.
Zu dynamisch zum Zitieren
Als Quelle für das wissenschaftliche Arbeiten ist Wikipedia denkbar ungeeignet: Entgegen der gängigen Zitationspraxis, gibt es in der Regel keine eindeutig zurechenbaren Autoren. Schließlich können die Inhalte nicht nur von jedermann erstellt, sondern auch fortlaufend bearbeitet werden, sodass die Texte sich ständig verändern.
Zwar lässt sich mit Hilfe von sogenannten „permanenten Links“ auf einzelne Versionen verweisen, die nach jeder Änderung gesondert gespeichert und abrufbar gemacht werden. Dennoch stellt ein derart dynamisches Format keine übliche zitierbare Quelle dar. Zwar können Administratoren, das heißt erfahrene Nutzer mit besonderen Rechten, in Extremfällen reglementierend eingreifen, indem sie beispielweise Artikel temporär vor weiteren Bearbeitungen schützen.
Welche Inhalte sich längerfristig durchsetzen, entscheidet sich dennoch von Fall zu Fall in einem mitunter komplexen Interaktionsprozess der Wikipedia-Community. Das aber bedeutet: Es kann weder ein fachlicher Kanon vorausgesetzt werden, noch lassen sich davon abweichende Positionen ohne weiteres ausgrenzen. Entsprechend repräsentieren wissenschaftliche Inhalte in Wikipedia nicht unbedingt bestimmte Lehrmeinungen.
Keine Plattform für Forschungs-Ergebnisse
Gleichzeitig soll auf der Plattform keine „Theoriefindung“ (Englisch: „Original Research“) stattfinden. Den Regeln nach soll nur das aufgenommen werden, was „mithilfe verlässlicher Informationsquellen belegt werden kann.“ Für Wissenschaftler bedeutet dies, dass sie Wikipedia nicht als Plattform nutzen können, um ihre wissenschaftlichen Ergebnisse unmittelbar zu publizieren. Denn wenn es eine Erstveröffentlichung ist, existieren noch keine externen Quellen dafür.
Dagegen spricht auch, dass andere Wikipedia-Autoren anschließend die Texte eines Forschers ändern können, womit eine individuelle Zurechnung von Beiträgen kaum noch möglich ist. Somit eignet sich Wikipedia auch nicht für wissenschaftliche Autoren, denen an einer Aufwertung ihrer persönlichen Publikationen durch rigorose Qualitätskontrolle gelegen ist.
In Anbetracht all dieser Konflikte mit etablierten wissenschaftlichen Praxen, verwundert es kaum, dass sich vielfach akademischer Widerstand gegen die Enzyklopädie regte. In der renommierten Fachzeitschrift „Nature“ war etwa zu lesen, dass Wikipedias Offenheit allen, die mit wissenschaftlicher Qualitätskontrolle vertraut sind, schlichtweg als „verrückt“ erscheinen müsse.
René König für bpb.de/ CC-by-nc-nd 3.0
Stand: 29.01.2016