Tierisches Fleisch war gewiss die wichtigste Nahrungsquelle der Menschen im Paläolithikum, aber nicht die einzige, wie Studien zeigen. Ottmar Kullmer, Forscher am Senckenberg Forschungsinstitut in Frankfurt am Main, hat die Kauflächen von steinzeitlichen Backenzähnen daraufhin untersucht. Sein Befund: Unsere Vorfahren nahmen auch viel Pflanzliches zu sich, jeweils in Abhängigkeit der regional-geografischen Gegebenheiten.
Die Umwelt bestimmt den Speiseplan
„Wir haben Zähne verschiedener Jäger- und Sammlergruppen untersucht. Dabei stellte sich heraus, dass die Zusammensetzung der Ernährung sehr unterschiedlich war: In nördlichen Regionen war der tierische Anteil der Nahrung unserer Vorfahren höher, im Nahen Osten und in mediterranen Regionen wurde vielfältiger gegessen – schlicht, weil es das Angebot hergab: Seafood, Wurzeln, Pflanzen“, berichtet Ottmar Kullmer.
Die extreme Anpassungsfähigkeit an die Gegebenheiten ist für den Paläontologen das Entscheidende. Die Menschen kamen im Prinzip überall klar, gleichgültig wie beschränkt das Nahrungsangebot war. An dieser enormen Flexibilität hat unsere kulturelle Entwicklung, insbesondere die Vielfältigkeit der Nahrungsaufbereitung, sicher einen erheblichen Anteil.
Unsere Zähne sind unterfordert
Doch die Biologie unseres Organismus konnte mit der rasanten kulturellen Evolution nicht Schritt halten. Dies zeigt sich etwa am menschlichen Gebiss und Kiefer. Denn dieses bereitet uns gerade in den Industrienationen mittlerweile große Probleme. „Es herrscht kein Selektionsdruck mehr auf unserem Kauapparat“, erklärt Ottmar Kullmer „Der Organismus reagiert darauf mit Reduktion.“
Während früher sogar harte Gräser und Blätter zur üblichen Kost gehörten, essen wir heute fast nur noch weichgekochte oder anderweitig vorverarbeitete Nahrung. Zahnfehlstellungen und rückgebildete Kiefer gehören deswegen heute zu den Zivilisationskrankheiten. „Unser Organismus ist evolutionär auf die Abnutzung der Zähne eingestellt; indem wir nur noch stark aufbereitete Nahrung zu uns nehmen und unsere Zähne nicht mehr wie in der Steinzeit stark beanspruchen, hebeln wir deren Funktion aus“, sagt Ottmar Kullmer.
Wiebke Peters/ Leibniz Journal
Stand: 22.01.2016