Doch eine krankhafte Sucht hat auch andere Charakteristika. „Sie dient oft als Ersatzbefriedigung für etwas, was man nicht anders bekommt“, sagt Mörsen. Wer beispielsweise im Job keine Anerkennung oder in der Ehe keine Bestätigung bekomme, der suche positive Gefühle und Erlebnisse auf andere Weise. Schnell wird das Suchtverhalten dann zum zuverlässigen Strohhalm, nach dem man immer greifen kann und der so eine Flucht vor den eigenen Problemen ermöglicht.
Bei vier von neun beginnt es
Doch bald muss die Reizintensität erhöht werden, um die gleiche Zufriedenheit wie am Anfang zu erzielen. Ein Teufelskreis beginnt. Wie weit man schon in der Suchtspirale drin steckt, lässt sich bei der Glücksspielsucht anhand eines Katalogs von neun Merkmalen messen; wenn vier davon erfüllt sind, sprechen Experten von einer Sucht.
Zu den Merkmalen zählen zum Beispiel die Toleranzentwicklung: Immer höhere Einsätze sind nötig, um das gleiche Glücksempfinden auszulösen. Und der Kontrollverlust, der einen Spieler dazu führt, doch wieder 500 Euro im Casino einzusetzen, auch wenn er sich ein Limit von 100 Euro gesetzt hat. Der Merkmalkatalog ist auf viele andere Suchterkrankungen übertragbar.
Von der Kontrollstörung zur stofflichen Sucht
Dass ausgerechnet die Glücksspielsucht – von der in Deutschland nach einer Studie der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung fast 500.000 Menschen betroffen sind – so sorgfältig dokumentiert ist, hat einen einfachen Grund: Als einzige Sucht, die durch ein Verhalten ausgelöst wird, ist sie im internationalen Krankheitsverzeichnis psychischer Störungen eingetragen, dem sogenannten DSM (Diagnostic and Statistical Manual of Mental Disorders).
In der Fachwelt sorgte es unlängst für Aufsehen, dass die Glücksspielsucht dort umsortiert wurde – von den sogenannten Impuls-Kontrollstörungen zu den stoffungebundenen Süchten, den Verhaltenssüchten. „Die Erweiterung des Suchtkonzepts um die stoffungebundenen Süchte hat große praktische Relevanz, gerade auch in Bezug auf Therapien“, sagt der Psychologe Patrick Trotzke von der Universität Duisburg-Essen.
Keine Einbahnstraße“
Wie aber lässt sich eine krankhafte Sucht behandeln? Wer nicht allein davon loskommt, kann sich laut der Charité-Expertin Chantal Patricia Mörsen zunächst an Suchtberatungen oder Vereine wie die Anonymen Spieler wenden, die es mittlerweile in jeder kleineren Stadt gibt. Erst als letzte Lösung solle man sich stationär behandeln lassen. „Sucht ist keine Einbahnstraße. Viele schaffen es ohne professionelle Hilfe, sich dem Suchtverhalten lang genug zu entziehen, so dass der Druck geringer wird“, sagt Mörsen.
Christian Heinrich / Helmholtz Perspektiven
Stand: 08.01.2016