Die dezentrale Organisation des Stromnetzes erfordert, dass die einzelnen Teile des Netzes miteinander kommunizieren können. Auch die Stromverbraucher, also die Endpunkte im Netz, sind Teil dieser Kommunikation: Vernetzte, intelligente Stromzähler sind bereits jetzt ein vielversprechendes Modell. Sie könnten in Zukunft nicht nur beim Stromsparen helfen, sondern auch Schwankungen im Netz zumindest abmildern.
Anschalten, wenn es günstig ist
Bisher sollen die smarten Stromzähler in erster Linie beim Stromsparen helfen. Denn sinkt der Stromverbrauch insgesamt, so lässt er sich noch leichter mit erneuerbaren Energien decken. Und solange der Strom noch teilweise aus fossilen Energieträgern stammt, lassen sich durch Stromsparen bereits die CO2-Emissionen senken.
Zu diesem Zweck haben die intelligenten Stromzähler ständig Zugriff auf den aktuellen Strompreis. Gleichzeitig stehen sie über das „Internet der Dinge“ mit den stromverbrauchenden Geräten in Kontakt. Waschmaschinen sind ein beliebtes Beispiel, um die Vorteile zu illustrieren: Die Maschine lässt sich so programmieren, dass sie erst anspringt, wenn der Preis besonders niedrig ist. Das ist normalerweise der Fall, wenn auch die Nachfrage gerade gering ist, etwa in der Nacht. Auf diese Weise verlagert sich ein Teil des Verbrauches in die Zeiten mit geringer Nachfrage, der landesweite Stromverbrauch hat dadurch weniger Verbrauchsspitzen und lässt sich leichter regulieren.
Selbstorganisation im intelligenten Stromnetz
Ein intelligentes Netz aus solchen Stromzählern könnte aber noch viel mehr: Physiker um Benjamin Schäfer vom Max-Planck-Institut für Dynamik und Selbstorganisation in Göttingen meinen, dass die vernetzten Zähler gleich die Kontrolle über das Stromnetz übernehmen könnten. Eine zentrale Steuerung wäre dann gar nicht mehr nötig. Dem Modell der Wissenschaftler zufolge kann sich das Netzwerk aus intelligenten Stromzählern selbst organisieren und auch rechtzeitig auf Schwankungen der Netzfrequenz reagieren.
Das hat mehrere Vorteile: Zum einen wird der Netzausbau deutlich einfacher und billiger, da die Kommunikation mit dem zentralen Stromversorger entfällt. Außerdem sei ein zentral gesteuertes System anfälliger für Hacker-Angriffe, meinen die Wissenschaftler. Auch die Privatsphäre der Verbraucher ist besser geschützt. Informationen über den Stromverbrauch eines jeden Haushalts müssten nämlich nicht mehr an einer zentralen Stelle zusammen laufen.
Chaotischer Markt durch intelligentes Netz?
Allerdings könnten die intelligenten Stromzähler unter Umständen auch das genaue Gegenteil bewirken: Stefan Bornholdt von der Universität Bremen und seine Kollegen warnen, dass die Geräte unvorhergesehene Effekte auf den Strommarkt haben können. In einer Computersimulation zeigten sie, wie „chaotisch, wild und zappelig“ dieser Markt sich verhalten könne, ähnlich einer Finanzbörse. Es könnte zu regelrechten Strompreis-Blasen kommen, wenn viele Menschen auf den günstigsten Preis warten.
Schalten dann plötzlich alle Waschmaschinen gleichzeitig an, „wird ein kollektiver Lawinen-Mechanismus ausgelöst, der die Stromnetze extrem belastet – Blackouts wegen unerwarteter Überlastung nicht ausgeschlossen“, urteilt Bornholdt. Solche möglichen Markteffekte müssen demnach beim Ausbau des intelligenten Stromnetzes unbedingt berücksichtigt werden.
Ansgar Kretschmer
Stand: 18.09.2015