Die philosophische Basis der Akupunktur bildet die traditionelle chinesische Medizin. Nach ihr strömt die Lebensenergie, das Qi, über spezielle Leiterbahnen durch den Körper. „Dabei zeigt es sich in gegensätzlichen Erscheinungsformen: hell und dunkel, warm und kalt, trocken und feucht“, heißt es dazu auf der Seite der Deutschen Akademie für Akupunktur (DAA).
Fließt das Qi ungehindert und steht im Gleichgewicht, ist der Mensch gesund. „Kippt die Balance von Yin und Yang, etwa durch Krankheitsauslöser wie Kälte oder Nässe, wird der Qi-Fluss holprig, stockend oder auch zu stürmisch und der betroffene Bereich unseres Körpers reagiert mit Krankheitssymptomen“, umschreibt die Deutsche Ärztegesellschaft für Akupunktur (DÄGfA) ziemlich poetisch-verklausuliert das Wirkprinzip. Eine Entsprechung für diese eher philosophisch-religiöse Deutung von Qi und Störungen existiert in der westlichen Medizin allerdings nicht.
Die Meridiane
Die wichtigsten Leiterbahnen für das Qi sind die zwölf Hauptmeridiane. Diese spiegelbildlich in beiden Körperhälften verlaufenden Linien sind verschiedenen Organsystemen zugeordnet, zudem soll das Qi in ihnen jeweils in eine bestimmte Richtung fließen. Dadurch ergeben die „Yin“ und „Yang“-Meridiane eine Art Kreislauf für das Qi. Zusätzlich gibt es noch weitere Bahnen, die die Meridiane verbinden und ergänzen.
Für diese Bahnen gibt es nach gängigem Wissensstand in der westlichen Medizin keine eindeutige Entsprechung. Sie folgen weder konsistent Nerven, noch Blutgefäßen oder anderen anatomisch klar erkennbaren Strukturen. Hinzu kommt, dass sich Zuordnung, Namen und sogar die Position der Meridiane im Laufe der Geschichte teilweise geändert hat. Im 18. Jahrhundert soll ein chinesischer Heilkundiger sogar den Verlust der „ursprünglichen“ Leiterbahnen beklagt haben.
Die Akupunkturpunkte
Die klassischen Akupunkturpunkte liegen auf den zwölf Hauptmeridianen und zweien dieser Zusatzbahnen. Nach der traditionellen chinesischen Medizin soll die Stimulation dieser Punkte durch Druck oder Einstechen von Nadeln den Fluss des Qi positiv beeinflussen. „Dadurch werden Störungen im Körperinneren beseitigt oder gelindert, ein Zuwenig oder im Gegenteil ein Zuviel von Yin und Yang kommt wieder ins Gleichgewicht“, so die Beschreibung der DAA.
Ursprünglich gab es rund 350 Akupunkturpunkte, doch inzwischen hat sich ihre Zahl auf mehr als 2.000 erhöht. Hinzu gekommen sind beispielsweise Punkte für die Ohrakupunktur, aber auch für die in Korea entwickelte Handakupunktur. Felix Mann, Mitgründer der British Acupuncture Society, soll gesagt haben: „Wenn man modernen Texten glauben darf, dann gibt es keine Hautstellen am Körper mehr, die keine Akupunkturpunkte sind.“ Gängig in der westlichen Akupunktur sind allerdings nur etwa 400 dieser Punkte.
Jedem seine Lieblingspunkte?
Allerdings ist die „Zuständigkeit“ der Akupunkturpunkte für bestimmte Leiden und Beschwerden weit weniger eindeutig als man glaubt: Selbst bei gleicher schulmedizinischer Diagnose können die Behandlungskonzepte und Diagnosen der Akupunktur stark differieren. 2001 schickten Forscher beispielsweise eine 40-jährige Frau mit chronischen Rückenschmerzen zu sieben verschiedenen Akupunkteuren, um herauszufinden, wie gut deren Diagnosen und Behandlungen übereinstimmten.
Das Ergebnis: Die Diagnosen variierten zwischen „Qi-Stagnation“, „Yin-Defiziten“ und einem „Mangel an Nieren-Qi“. Noch mehr unterschieden sich die als Therapie ausgewählten Akupunkturpunkte: Von den insgesamt 28 verschiedenen Punkten tauchten nur vier bei zwei oder mehr Akupunkteuren auf. Die Zahl der gleichzeitig eingesetzten Nadeln variierte zudem zwischen sieben und 26. Weitere sechs Studien mit anderen Patienten und Beschwerden ergaben ähnlich große Diskrepanzen.
Nadja Podbregar
Stand: 04.09.2015